Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
Vom Netzwerk:
Apartment angerufen.«

    Ich runzelte die Stirn. Ich hatte das Telefon stumm geschaltet, weil Sarah den Zeitunterschied zwischen Madison und Oxford prinzipiell falsch berechnete und regelmäßig mitten in der Nacht anrief.
    »Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben. Ich werde es bestimmt ankündigen, wenn ich mal wieder Besuch erwarte«, versprach ich.
    Oben in meinem Apartment schaltete ich das Licht im Bad an und musste feststellen, dass die vergangenen zwei Tage ihren Tribut gefordert hatten. Die Ringe, die man gestern unter meinen Augen erahnt hatte, waren inzwischen so dunkel, dass man sie für Blutergüsse halten konnte. Ich sah auf meinem Arm nach blauen Flecken und war überrascht, als ich keine fand. Insgeheim war ich überzeugt gewesen, dass Clairmont die Adern unter meiner Haut zum Platzen gebracht hatte, so fest hatte mich der Vampir gehalten.
    Ich duschte und zog dann eine weite Hose und einen Rollkragenpullover an. Das schmucklose Schwarz betonte meine Größe und ließ mich weniger muskulös wirken, aber andererseits sah ich darin aus wie eine Leiche, darum zog ich noch einen weichen lavendelblauen Sweater über. Jetzt wirkten zwar die Ringe unter meinen Augen noch blauer, aber immerhin sah ich nicht mehr wie tot aus. Die Haare standen mir vom Kopf ab und knisterten bei jeder Bewegung. Meine einzige Chance bestand darin, sie im Nacken zu einem unordentlichen Knoten zu bündeln.
    Auf Clairmonts Rollwagen stapelten sich die Manuskripte, und ich fügte mich in mein Schicksal, ihm auch heute im Duke-Humfrey-Lesesaal zu begegnen. Ich streckte den Rücken durch und trat an die Ausleihtheke.
    Schon wieder flatterten der Bibliotheksleiter und seine beiden Assistenten herum wie aufgescheuchte Vögel. Diesmal konzentrierte sich das hektische Treiben auf das Dreieck zwischen der Ausleihtheke, den Karteikästen mit den archivierten Manuskripten und dem Büro des Bibliotheksleiters. Unter den wachsamen Augen der geschnitzten Fratzen schleppten sie Kartonstapel und schoben Rollwagen voller Manuskripte zu den ersten drei Lesetischreihen.
    »Vielen Dank, Sean.« Clairmonts sonore, höfliche Stimme.

    Die gute Nachricht war, dass ich meinen Lesesaal nicht länger mit einem Vampir teilen musste.
    Die schlechte Nachricht war, dass ich die Bibliothek nicht betreten oder verlassen konnte  – dass ich nicht einmal ein Buch oder Manuskript anfordern konnte  –, ohne dass Clairmont mich bei jeder Bewegung beobachtete. Und heute hatte er sich Verstärkung geholt.
    In der zweiten Nische stapelte ein zierliches Mädchen Papiere und Ordner auf. Sie war in einen langen, sackartigen braunen Sweater gehüllt, der ihr fast bis auf die Knie reichte. Als sie sich umdrehte, erkannte ich verblüfft, dass es eine erwachsene Frau war. Ihre Augen waren bernsteingelb und schwarz und dazu kalt wie Frostbeulen.
    Auch ohne dass sie mich berührte, verrieten mir die leuchtend blasse Haut und das unnatürlich dichte, glänzende Haar, dass sie eine Vampirin war. Locken ringelten sich wie Schlangen um ihr Gesicht und über ihre Schultern. Sie machte einen Schritt auf mich zu, ohne dass sie auch nur versucht hätte, ihre blitzschnellen und todsicheren Bewegungen zu verlangsamen, und fixierte mich mit einem vernichtenden Blick. Sie wäre eindeutig lieber woanders gewesen und gab mir allein die Schuld daran, dass sie hier war.
    »Miriam«, ermahnte Clairmont sie sanft und trat dabei in den Mittelgang. Er blieb stehen und zauberte ein höfliches Lächeln auf seine Lippen. »Dr. Bishop. Guten Morgen.« Dann fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare, wodurch er sie nur noch kunstvoller zerzauste. Ich strich mir unwillkürlich verlegen über den Kopf und stopfte dabei eine lose Haarsträhne zurück.
    »Guten Morgen, Professor Clairmont. Wieder hier, wie ich sehe.«
    »Ja. Aber heute komme ich nicht zu Ihnen ins Selden End. Man hat uns hier einen Platz geben können, wo wir niemanden stören.«
    Die Vampirin klopfte unüberhörbar einen Papierstapel auf dem Lesetisch zurecht.
    Clairmont lächelte. »Darf ich Ihnen meine Kollegin vorstellen? Dr. Miriam Shephard. Miriam, das ist Dr. Diana Bishop.«
    »Dr. Bishop.« Miriam streckte mir kühl die Hand entgegen. Ich nahm sie und erschrak fast über den Kontrast zwischen ihrer winzig
kalten eisigen Hand und meiner großen, warmen. Ich wollte die Finger schon zurückziehen, aber sie verstärkte ihren Griff, bis sie mir fast die Knochen zusammenquetschte. Als sie endlich losließ, musste ich mich

Weitere Kostenlose Bücher