Seelen der Nacht
sondern auch als einen Teil von ihm. Dies war das Haus, in dem er vor fast fünfhundert Jahren hatte leben wollen. Es strahlte Ruhe aus, genau wie er. Mehr noch, es war bodenständig und solide. Nirgendwo gab es irgendwelche Schnörkel – keine Verzierungen, keinerlei Ablenkung.
»Es ist wunderschön«, sagte ich nur.
»Inzwischen ist es zu groß, um noch darin zu leben«, erwiderte er, »und außerdem zu baufällig. Jedes Mal, wenn ich ein Fenster öffne, fällt mir irgendetwas entgegen, auch wenn ich mir wirklich Mühe gebe, die Substanz zu erhalten. Ich lasse Amira in einigen der Räume wohnen, außerdem darf sie das Haus ein paarmal pro Woche ihren Schülern öffnen.«
»Du wohnst im Torhaus?«, fragte ich, während wir über den mit Kopf- und Backsteinen gepflasterten Hof zu seinem Auto gingen.
»Teilweise. Unter der Woche wohne ich in Oxford, aber am Wochenende bin ich hier. Hier ist es stiller.«
Ich konnte mir vorstellen, dass es für einen Vampir ziemlich anstrengend sein musste, unter lauter jungen Studenten zu wohnen, deren Gespräche er wohl oder übel mithören musste.
Wir stiegen wieder in den Wagen und fuhren die kurze Strecke zum Torhaus. Früher hatte es als Gesicht des ganzen Anwesens gedient und war darum mit etwas mehr Stuck und Ornamenten versehen als das Haupthaus. Ich studierte die gedrehten Kamine und die kunstvollen Muster im Mauerwerk.
Matthew stöhnte. »Ich weiß. Die Kamine waren ein Fehler. Der Steinmetz wollte sich um jeden Preis selbst verwirklichen. Sein Cousin
arbeitete für Wolsley in Hampton Court, und der Mann war einfach nicht davon abzubringen.«
Er drückte den Lichtschalter neben der Tür, und der Hauptraum des Torhauses wurde in goldenes Licht getaucht. Der Boden war mit praktischen Steinplatten gefliest, außerdem gab es einen riesigen gemauerten Kamin, in dem man einen Ochsen hätte braten können.
»Ist dir kalt?« Matthew war schon unterwegs ans andere Ende des Raumes, wo eine elegante, moderne Küche eingebaut worden war. Sie wurde eher vom Kühlschrank als vom Herd beherrscht. Ich malte mir lieber nicht aus, was er darin aufbewahren mochte.
»Ein bisschen.« Ich kuschelte mich in meinen Pullover. Es war für die Jahreszeit immer noch relativ warm in Oxford, aber auf meinem trocknenden Schweiß fühlte sich die Nachtluft kalt an.
»Dann mach das Feuer an«, schlug Matthew vor. Es war schon vorbereitet, und ich entzündete es mit einem langen Streichholz, das ich aus einem antiken Zinnhumpen zog.
Während Matthew Wasser aufsetzte, ging ich umher und nahm die Atmosphäre des Raumes in mich auf. Hauptsächlich braunes Leder und dunkles, poliertes Holz, das sich gut auf dem alten Steinboden machte. Ein alter Teppich in warmem Rot, Blau und Ocker setzte ein paar farbige Akzente. Über dem Kaminsims übergroß das Bildnis einer dunkelhaarigen Schönheit aus dem siebzehnten Jahrhundert, die in einem gelben Gewand porträtiert worden war. Es war mit Sicherheit von Sir Peter Lely gemalt.
Matthew bemerkte mein Interesse. »Meine Schwester Louisa«, sagte er und kam mit einem reich bestückten Teetablett hinter der Küchentheke hervor. Er sah zur Leinwand auf, und ein Anflug von Trauer zog über sein Gesicht. »Dieu , sie war so schön.«
»Was wurde aus ihr?«
»Sie ging nach Barbados, weil sie zur Königin der Westindischen Inseln aufsteigen wollte. Wir warnten sie, dass ihre Vorliebe für junge Männer auf einer so kleinen Insel nicht lange unbemerkt bleiben würde, aber sie wollte nicht hören. Louisa liebte das Leben auf den Plantagen. Sie investierte in Zucker – und Sklaven.« Ein Schatten
huschte über sein Gesicht. »Bei einem der zahlreichen Aufstände auf der Insel beschlossen die anderen Plantagenbesitzer, sie loszuwerden, auch weil sie ahnten, was sie war. Sie schnitten Louisa den Kopf ab und zerhackten ihren Körper in kleine Stücke. Dann verbrannten sie die Überreste und schoben alles auf die Sklaven.«
»Das tut mir schrecklich leid«, sagte ich und wusste gleichzeitig, dass Worte einem solchen Verlust nicht gerecht werden konnten.
Er setzte ein kleines Lächeln auf. »Der Tod war ehrlich gesagt nicht grausamer als die Frau, die ihn erlitt. Ich habe meine Schwester geliebt, aber sie hat es mir nicht einfach gemacht. Sie kostete jedes Laster jeder Altersstufe aus, die sie durchlebte. Wenn es irgendwo zu Ausschweifungen kam, war Louisa dort zu finden.« Matthew schloss kurz die Augen, als wollte er das kalte, bezaubernde Gesicht seiner
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