Seelen der Nacht
Schwester loswerden. »Schenkst du uns ein?«, fragte er. Er hatte das Tablett auf einem niedrigen polierten Eichentisch abgestellt, der zwischen zwei dick gepolsterten Ledersofas vor dem Kamin stand.
Nur allzu gern kam ich seiner Bitte nach, war ich doch froh, ihn abzulenken, obwohl ich mit meinen Fragen mehr als nur einen Abend hätte füllen können. Unter Louisas großen schwarzen Augen bemühte ich mich, nichts auf der glänzenden Tischplatte zu verschütten – nur für den Fall, dass der Tisch früher ihr gehört hatte. Matthew hatte auch an den großen Krug Milch und den Zucker gedacht, und so präparierte ich meinen Tee, bis er genau die richtige Farbe hatte, bevor ich mich seufzend in die Polster sinken ließ.
Matthew hielt seine Tasse höflich zwischen den Fingern, ohne sie auch nur einmal an die Lippen zu setzen.
»Meinetwegen brauchst du das nicht zu tun, weißt du?«, sagte ich und sah dabei auf seine Tasse.
»Ich weiß.« Er zuckte mit den Achseln. »Es ist eine alte Gewohnheit, und ich finde das Ritual beruhigend.«
»Wann hast du angefangen, Yoga zu machen?«, wechselte ich das Thema.
»Damals, als Louisa nach Barbados zog, ging ich nach Indien und fand mich während des Monsuns in Goa wieder. Dort gab es eigentlich
kaum etwas zu tun, außer sich zu betrinken und mehr über das Land zu erfahren. Die Yogis waren damals anders, viel spiritueller als die meisten Lehrer heute. Amira habe ich vor ein paar Jahren kennengelernt, als ich auf einer Konferenz in Mumbai eine Rede hielt. Mir war sofort klar, dass in ihr die Weisheit der alten Yogis weiterlebte, außerdem teilte sie nicht die Bedenken vieler Hexen, mit Vampiren zu fraternisieren.« In seiner Stimme lag ein Anflug von Verbitterung.
»Du hast sie eingeladen, nach England zu kommen?«
»Ich erklärte ihr, welche Möglichkeiten sie hier hätte, und sie war einverstanden, es zu versuchen. Inzwischen ist sie seit fast zehn Jahren hier, und der Kurs ist jede Woche voll. Natürlich gibt Amira auch Privatstunden, hauptsächlich für Menschen.«
»Ich habe noch nicht erlebt, dass Hexen, Vampire und Dämonen etwas gemeinsam machen – und schon gar kein Yoga«, gestand ich. »Wenn du mir erzählt hättest, dass so etwas möglich sei, hätte ich dir nicht geglaubt.«
»Amira ist Optimistin, und sie liebt Herausforderungen. Anfangs war es nicht einfach. In den ersten Jahren wollten die Vampire auf keinen Fall in einem Raum mit den Dämonen bleiben, und natürlich traute niemand den Hexen über den Weg, als die auch noch auftauchten.« Seine Stimme verriet seine eigenen tief verwurzelten Vorurteile. »Inzwischen haben die meisten hier eingesehen, dass unsere Gemeinsamkeiten größer sind als die Unterschiede, und wir begegnen einander mit höflichem Respekt.«
»Wir sehen vielleicht ähnlich aus«, sagte ich, nahm einen Schluck Tee und zog die Knie an die Brust, »aber wir empfinden ganz bestimmt nicht ähnlich.«
»Wie meinst du das?« Matthew sah mich aufmerksam an.
»Wie wir spüren, dass jemand einer von uns ist – ein nichtmenschliches Geschöpf«, erwiderte ich verwirrt. »Der leise Druck, das Kribbeln, die Kälte.«
Matthew schüttelte den Kopf. »Nein, das spüre ich nicht. Ich bin keine Hexe.«
»Du spürst nichts, wenn ich dich ansehe?«, fragte ich.
»Nein. Spürst du etwas?« Sein argloser Blick löste die vertraute Reaktion auf meiner Haut aus.
Ich nickte.
»Erzähl mir, wie es sich anfühlt.« Er beugte sich vor. Oberflächlich wirkte alles ganz normal, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass da eine Falle lauerte.
»Es fühlt sich … kalt an«, antwortete ich langsam und ohne recht zu wissen, wie viel ich verraten sollte. »Als würde etwas unter meiner Haut vereisen.«
»Das hört sich unangenehm an.« Leichte Falten durchzogen seine Stirn.
»Ist es aber nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Nur ein bisschen eigenartig. Bei den Dämonen ist es schlimmer – wenn die mich ansehen, fühlt es sich an, als würde ich geküsst.« Ich verzog das Gesicht.
Lachend stellte Matthew seine Tasse auf dem Tisch ab. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte sich vor. »Du setzt deine Hexenkräfte also sehr wohl ein.«
Die Falle war zugeschnappt.
Wütend sah ich zu Boden, bestimmt war ich knallrot geworden. »Ich wünschte, ich hätte Ashmole 782 nie aufgeschlagen und nie dieses verfluchte Journal vom Regal geholt! Damit habe ich in diesem Jahr fünfmal meine magischen Kräfte eingesetzt, und dabei zählt die
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