Seelen der Nacht
wegkommen wollte. Aber Sarah war noch nicht fertig.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages erleben muss, wie sich eine Bishop-Hexe lieber von einem Vampir beschützen lässt, als ihre eigenen Kräfte einzusetzen«, sagte sie. »Bestimmt dreht sich meine Mutter im Grab um. Das hast du nun davon, dass du deiner Bestimmung zu entfliehen versuchst, Diana. Du steckst bis zum Hals in
Schwierigkeiten, und nur, weil du geglaubt hast, du könntest dein Erbe ignorieren. So funktioniert das nicht.«
Sarahs Verbitterung vergiftete noch lange nach unserem Telefonat die Luft in meinem Apartment.
Am nächsten Morgen reckte ich mich eine halbe Stunde lang durch verschiedene Yogastellungen und machte mir dann eine Kanne Tee. Das blumige Vanillearoma wirkte tröstlich, und das Teein würde gerade reichen, um mich den Nachmittag über wach zu halten, ohne dass ich deshalb nachts nicht schlafen konnte. Nachdem ich die Blätter abgeseiht hatte, schlug ich die weiße Porzellankanne in ein Handtuch, damit sie nicht auskühlte, und trug sie zu dem Sessel am Kamin, den ich zu meinem Denkersessel auserkoren hatte.
Besänftigt durch den vertrauten Duft des Tees zog ich die Knie ans Kinn und ging im Geist noch einmal die vergangene Woche durch. Doch wo ich auch anfing, ich landete jedes Mal bei meinem letzten Gespräch mit Matthew Clairmont. Hatten meine Bemühungen, die Magie aus meinem Leben und meiner Arbeit herauszuhalten, denn gar nichts gefruchtet?
Wieder einmal stellte ich mir einen weißen Tisch vor, glänzend und völlig leer, und kippte alles aus der vergangenen Woche auf diesen Tisch – Ashmole 782 , Matthew Clairmont, Agatha Wilsons Interesse, der Tweedhexer, meine Neigung, beim Gehen die Augen zu schließen, die Kreaturen in der Bodleian, wie ich die Notes and Queries aus dem Regal gezaubert hatte, Amiras Yogaunterricht. Dann mischte ich alle Steinchen durcheinander, setzte sie in verschiedenen Kombinationen zusammen und versuchte ein Muster auszumachen, doch es gab zu viele Lücken, als dass sich ein klares Bild ergeben hätte.
Manchmal konnte ich besser erkennen, was wichtig war, wenn ich auf gut Glück ein Teilchen herauspickte und genauer betrachtete. Ich griff nach einem der Teilchen und rechnete fest damit, Ashmole 782 in der Hand zu halten.
Matthew Clairmonts dunkle Augen blickten mich an.
Warum war der Vampir so wichtig?«
Die Puzzleteile begannen sich wie von selbst zu bewegen und wirbelten
so schnell durcheinander, dass ihnen meine Augen unmöglich folgen konnten. Ich klatschte mit den flachen Händen auf den Tisch, und die Teile kamen sofort zur Ruhe. In den Handflächen spürte ich das vertraute Kribbeln.
Das kam mir gar nicht mehr wie ein Spiel vor. Sondern vielmehr wie Magie. Und wenn das stimmte, dann hatte ich sie während meiner gesamten Schulzeit, während meines Studiums und bei meinen Forschungen eingesetzt. Dabei sollte die Magie gar keinen Platz in meinem Leben haben. Entschlossen versuchte mein Geist die Möglichkeit zu verleugnen, dass ich, wenn auch unwissentlich, immer wieder gegen meine eigenen Regeln verstoßen hatte.
Am nächsten Tag stand ich zur gewohnten Zeit in der Garderobe der Bibliothek, ging nach oben, umrundete die Ecke neben der Ausleihtheke und machte mich darauf gefasst, ihm gegenüberzustehen.
Clairmont war nicht da.
»Brauchen Sie irgendwas?«, fragte Miriam gereizt und schrammte im Aufstehen mit dem Stuhl über den Holzboden.
»Wo ist Professor Clairmont?«
»Auf der Jagd.« Aus Miriams Augen blitzte mir blanke Abneigung entgegen. »In Schottland.«
Auf der Jagd . Ich schluckte schwer. »Ach so. Und wann kommt er zurück?«
»Das weiß ich beim besten Willen nicht, Dr. Bishop.« Miriam verschränkte die Arme und setzte einen winzigen Fuß vor.
»Ich hatte gehofft, er würde heute Abend mit mir zum Yoga in die Old Lodge gehen«, erklärte ich kleinlaut, weil mir nichts Besseres einfiel.
Miriam drehte sich um und nahm ein schwarzes, flauschiges Knäuel vom Tisch und warf es mir zu. »Das haben Sie am Freitag in seinem Auto vergessen.«
»Danke.« Mein Pullover roch nach Zimt und Nelken.
»Sie sollten besser auf Ihre Sachen aufpassen«, murmelte Miriam. »Schließlich sind Sie eine Hexe , Dr. Bishop. Passen Sie endlich selbst
auf sich auf und bringen Sie Matthew nicht länger in diese unmögliche Situation.«
Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging zu Sean, um meine Manuskripte abzuholen.
»Alles okay?«, fragte er und sah stirnrunzelnd zu Miriam
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