Seelen der Nacht
schätzen, dass du sie gefunden hast.«
In den Augen des Vampirs leuchtete etwas auf, und sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Aber kann sie sich auch glücklich schätzen? Ist es ein Glück für sie, wenn ich ihr nachjage?«
»Das hängt allein von dir ab. Vergiss nur nicht – keine Geheimnisse mehr. Nicht, wenn du sie liebst.«
Matthew blickte in das heitere Gesicht seiner Königin und schloss beschützend die Finger um die kleine geschnitzte Figur.
Er hielt sie immer noch in der Hand, als die Sonne aufging und Hamish längst zu Bett gegangen war.
10
N och als ich die Tür zu meiner Unterkunft aufschloss, versuchte ich das Eis abzuschütteln, das ich seit Matthews Blick zwischen meinen Schultern spürte. Drinnen begrüßte mich der Anrufbeantworter mit einer rot blinkenden 13. Dazu kamen neun Nachrichten auf der Mailbox meines Handys. Jede einzelne davon stammte von Sarah und zeugte von ihrer wachsenden Besorgnis über das, was ihr sechster Sinn ihr über die Ereignisse in Oxford verriet.
Weil ich meinen entschieden zu hellsichtigen Tanten vorerst nicht Rede und Antwort stehen wollte, drehte ich den Anrufbeantworter leise, schaltete beide Telefone stumm und fiel todmüde ins Bett.
Als ich am nächsten Morgen an der Pförtnerloge vorbeikam, winkte Fred mit einem Stapel Nachrichtenzettel.
»Ich hole sie später ab«, rief ich ihm zu, und er hob den Daumen.
Wie von selbst liefen meine Füße die vertrauten Pfade entlang durch die Felder und Marschen im Norden der Stadt, und die körperliche Anstrengung half mir, nicht nur meine Gewissensbisse zu unterdrücken, weil ich meine Tanten nicht anrufen wollte, sondern auch die Erinnerung an Matthews eisige Miene.
Bei meiner Rückkehr holte ich die Nachrichten ab und warf sie ungelesen in den Müll. Dann zögerte ich den unvermeidlichen Anruf zu Hause mit meinen geliebten Wochenendritualen hinaus: Ich kochte mir ein Ei, machte Tee, sammelte herumliegende Wäsche ein und versuchte die Papiere zu ordnen, die jede freie Oberfläche bedeckten. Nachdem ich damit fast den ganzen Vormittag vertrödelt hatte, gab es nichts mehr zu tun außer in New York anzurufen. Dort war es noch früh, aber ich brauchte mir keine Hoffnungen zu machen, dass jemand noch im Bett sein könnte.
»Was denkst du dir eigentlich dabei, Diana?«, fuhr Sarah mich zur Begrüßung an.
»Guten Morgen, Sarah.« Ich sank in den Sessel neben dem erloschenen Kamin und legte die Füße übereinandergeschlagen auf einem nahen Regal ab. Das würde sich länger hinziehen.
»Das ist keineswegs ein guter Morgen«, erwiderte Sarah säuerlich. »Wir haben kein Auge zugetan. Was wird da gespielt?«
Em ging an den Zweitapparat.
»Hi, Em«, begrüßte ich sie und legte die Füße nebeneinander. Das würde sich sehr lange hinziehen.
»Belästigt dich dieser Vampir etwa?«, fragte Em ängstlich.
»Eigentlich nicht.«
»Wir wissen, dass du Zeit mit Vampiren und Dämonen verbracht hast«, mischte sich meine Tante ungeduldig ein. »Hast du völlig den Verstand verloren, oder steckst du in ernsthaften Schwierigkeiten?«
»Weder habe ich den Verstand verloren, noch stecke ich in Schwierigkeiten.« Das Letzte war gelogen, aber ich kreuzte die Finger und hoffte das Beste.
»Glaubst du allen Ernstes, du könntest uns etwas vormachen? Hexen können einander nicht belügen!«, entrüstete sich Sarah. »Raus mit der Sprache, Diana.«
So viel zu diesem Plan.
»Lass sie ausreden, Sarah«, sagte Em. »Wir vertrauen darauf, dass Diana die richtigen Entscheidungen trifft, vergiss das nicht.«
Das tiefe Schweigen verriet mir, dass dies ein Streitpunkt gewesen war.
Sarah holte tief Luft, doch Em kam ihr zuvor: »Wo warst du gestern Abend?«
»Beim Yoga.« Ich würde mich dieser Inquisition nicht entziehen können, trotzdem war es vorteilhaft, die Antworten so kurz und knapp wie möglich zu halten.
»Beim Yoga?«, fragte Sarah ungläubig. »Warum treibst du mit diesen Wesen Yoga? Du weißt, dass es gefährlich ist, sich mit Dämonen und Vampiren zu mischen.«
»Den Kurs hat eine Hexe geleitet!« Ich sah Amiras heiteres, liebevolles Gesicht vor mir.
»Diese Yogastunde, war das seine Idee?«, fragte Em.
»Ja. Sie fand in Clairmonts Haus statt.«
Sarah schnaufte angewidert.
»Ich habe dir doch gesagt, dass er dahintersteckt«, murmelte Em meiner Tante zu. Der nächste Satz war an mich gerichtet: »Ich sehe einen Vampir zwischen dir und … irgendetwas stehen. Was es ist, kann ich nicht genau
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