Seelen der Nacht
Mund auf. »Ja!« Das hier war besser als ein Fernsehquiz. Auf dem Etikett war eine kleine Krone aufgedruckt gewesen. »Verrät dir deine Nase auch, von welchem Weingut er kommt?«
»Ja, aber hauptsächlich, weil ich schon einmal über den Weinberg spaziert bin, auf dem die Trauben wachsen«, gestand er fast kleinlaut, so als hätte ich ihn bei einem Taschenspielertrick ertappt.
»Du kannst riechen, von welchem Weinberg er stammt?« Ich steckte die Nase ins Glas und war froh, dass sich das leichte Pferdedungaroma verzogen hatte.
»Manchmal glaube ich, dass ich mich an alles erinnern kann, was ich je gerochen habe. Wahrscheinlich ist das nur Einbildung«, gestand er verlegen. »Aber Gerüche beschwören mächtige Erinnerungen herauf. Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich das erste Mal Schokolade gerochen habe.«
»Wirklich?« Interessiert beugte ich mich vor.
»Das war 1615. Der Krieg war noch nicht ausgebrochen, und der König von Frankreich hatte eine spanische Prinzessin geheiratet, die niemand leiden konnte – am wenigsten der König selbst.« Als ich lächelte, lächelte er ebenfalls, doch sein Blick blieb in die Ferne gerichtet. »Sie brachte die Schokolade nach Paris – bitter wie die Sünde und genauso dekadent. Wir tranken den Kakao schwarz, nur mit Wasser und ohne Zucker.«
Ich lachte. »Hört sich grässlich an. Zum Glück ist jemand auf die Idee gekommen, dass Schokolade süß sein sollte.«
»Das war wohl ein Mensch. Wir Vampire liebten sie bitter und schwarz.«
Wir griffen zu den Gabeln und machten uns über das Wild her. »Noch mehr schottisches Essen«, sagte ich und deutete mit dem Messer auf das Fleisch.
Matthew kaute eine Scheibe. »Rotwild. Ein junger Hirsch, dem Geschmack nach.«
Ich schüttelte fasziniert den Kopf.
»Wie gesagt«, fuhr er fort, »manche Geschichten sind wahr.«
»Kannst du fliegen?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon wusste.
Er schnaubte. »Natürlich nicht. Das überlassen wir den Hexen, schließlich könnt ihr über die Elemente gebieten. Aber wir sind schnell und stark. Wir können so schnell laufen und springen, dass die Menschen glauben, wir könnten fliegen. Außerdem sind wir effizient.«
»Effizient?« Ich legte die Gabel ab, denn ich wusste nicht recht, ob mir rohes Wild wirklich schmeckte.
»Unsere Körper verbrauchen kaum Energie. Wir können die Energie ganz darauf verwenden, uns schnell zu bewegen, wenn es sein muss.«
»Du atmest so gut wie gar nicht.« Ich dachte an unsere Yogastunde und trank einen Schluck Wein.
»Nein«, sagte Matthew. »Unsere Herzen schlagen nicht oft. Wir brauchen auch nicht oft zu essen. Wir sind Kaltblüter, das verlangsamt die meisten körperlichen Prozesse und erklärt, warum wir so lange leben.«
»Die Sargstory! Ihr schlaft nicht oft, aber wenn, dann wie tot.«
Er grinste. »Wie ich sehe, weißt du, wie der Hase läuft.«
Auf Matthews Teller lag nur noch die rote Bete, auf meinem nur noch das Wildfleisch. Ich räumte den zweiten Gang ab und bat ihn, noch etwas Wein einzuschenken.
Der Hauptgang war der einzige, der heiß gemacht werden musste, und auch das nur kurz. Ich hatte bereits einen bizarren Pseudokuchen aus gemahlenen Maronen zusammengerührt. Jetzt brauchte ich nur
noch etwas Hasenfleisch anzubraten. Die Zutatenliste umfasste Rosmarin, Knoblauch und Sellerie. Ich beschloss, auf den Knoblauch zu verzichten. Bei seinem empfindlichen Geruchssinn würde der Knoblauch alles andere überdecken – das war das Körnchen Wahrheit in dieser Vampirgeschichte. Sellerie fiel ebenfalls aus. Vampire mochten absolut kein Gemüse. Gewürze hingegen schienen ihnen keine Probleme zu bereiten, darum beließ ich es bei dem Rosmarin und mahlte etwas Pfeffer über den Hasen, der in der Pfanne brutzelte.
Matthews Hasen ließ ich blutig, meinen briet ich etwas länger als angegeben, weil ich hoffte, dadurch den Geschmack nach rohem Wild zu vertreiben. Nachdem ich alles zu einem kunstvollen Haufen angeordnet hatte, servierte ich es. »Das ist leider gebraten – aber nur ganz kurz.«
»Das ist doch nicht eine Art Test, oder?« Matthew sah mich streng an.
»Nein, nein«, antwortete ich eilig. »Aber normalerweise habe ich keine Vampire zu Gast.«
»Das freut mich zu hören«, murmelte er. Er schnupperte kurz an dem Hasen. »Der riecht köstlich.« Als er sich über den Teller beugte, verstärkte die aufsteigende Wärme seinen unverkennbaren Zimt- und Nelkenduft. Matthew gabelte etwas von dem
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