Seelen der Nacht
und schlug die Akte auf.
»Wissen die beiden über Ashmole 782 Bescheid?«, fragte ich Matthew, als Miriam und Marcus keine Anstalten machten, den Raum zu verlassen. Er nickte. »Und du hast ihnen erzählt, was ich gesehen habe?« Er nickte wieder.
»Haben Sie sonst jemandem davon erzählt?« Aus Miriams Frage sprang mich ein jahrhundertealtes Misstrauen an.
»Wenn Sie Peter Knox meinen, dann nein. Nur meine Tante und ihre Partnerin Emily wissen Bescheid.«
»Drei Hexen und drei Vampire, die ein Geheimnis teilen«, meinte Marcus nachdenklich und sah dabei Matthew an. »Interessant.«
»Hoffen wir, dass wir dieses Geheimnis besser hüten als das hier.« Matthew schob mir die Akte zu.
Drei Paar Vampiraugen beobachteten genau, wie ich sie aufschlug. VAMPIR BADET LONDON IN BLUT, schrie mir die Schlagzeile entgegen. Mein Magen schlug einen Purzelbaum, und ich schob den Artikel
beiseite. Darunter lag der Bericht über einen weiteren mysteriösen Todesfall, bei dem eine blutleere Leiche gefunden worden war. Und darunter lag wiederum eine Zeitschriftenstory mitsamt einem Foto, das keinen Zweifel am Inhalt des Artikels ließ, obwohl ich kein Russisch sprach. Die Kehle des Opfers war vom Kinn bis zur Halsschlagader aufgerissen worden.
Es gab noch unzählige weitere Morde und entsprechende Berichte in jeder nur erdenklichen Sprache. In manchen Fällen war es zu Enthauptungen gekommen. Einige Artikel berichteten von blutleeren Leichen, ohne dass auch nur ein Tropfen am Tatort gefunden worden wäre. In anderen wurde aufgrund der tiefen Bisswunden an Hals und Rumpf vermutet, dass das Opfer von einem Tier angegriffen worden sei.
»Wir sterben«, sagte Matthew, als ich das letzte Blatt beiseitelegte.
»Jedenfalls sterben Menschen, soviel steht fest.« Meine Stimme war rau.
»Nicht nur die Menschen«, sagte er. »Hier haben wir den Beweis, dass auch wir Vampire Anzeichen des Niedergangs zeigen.«
»Aber was hat das hier mit dem Ursprung der Arten oder mit Ashmole 782 zu tun?« Meine Stimme zitterte. Gillian hatte mit ihren Warnungen schmerzliche Erinnerungen aufgerührt, und diese Bilder hier verstärkten sie.
»Hör mich an«, sagte Matthew ruhig. »Bitte.«
Er klang zwar wie ein Irrer, aber immerhin wollte er mir nicht grundlos Angst einjagen. Matthew musste einen guten Grund haben, mich einzuweihen. Die Akte an meine Brust gedrückt, ließ ich mich auf den Hocker sinken.
»Diese Todesfälle«, setzte er an und zog dabei die Akte sanft aus meinem Griff, »sind das Ergebnis von fehlgeschlagenen Versuchen, Menschen zu Vampiren zu machen. Was früher einmal selbstverständlich war, ist inzwischen kompliziert geworden. Unser Blut verliert zunehmend die Fähigkeit, aus dem Tod neues Leben zu ziehen.«
Eine Spezies, die sich nicht fortpflanzen kann, musste aussterben. Wenn ich allerdings nach den Bildern ging, die ich eben gesehen hatte, brauchte die Welt auf keinen Fall noch mehr Vampire.
»Für die unter uns, die schon älter sind – Vampire wie ich, die sich hauptsächlich von menschlichem Blut ernährt haben, als sie jung waren –, ist es einfacher«, fuhr Matthew fort. »Wenn wir älter werden, lässt allerdings unsere Leidenschaft nach, neue Vampire zu erschaffen. Bei den jüngeren Vampiren liegt der Fall anders. Sie wollen eine Familie gründen, weil sie sich in ihrem neuen Leben alleingelassen fühlen. Doch wenn sie schließlich einen Menschen finden, mit dem sie sich vereinen wollen, oder wenn sie Kinder zu zeugen versuchen, müssen viele von ihnen feststellen, dass ihr Blut nicht kräftig genug ist.«
»Du hast gesagt, wir würden alle aussterben«, brachte ich kühl und immer noch wütend zur Sprache.
»Auch die heutigen Hexen sind längst nicht mehr so mächtig wie ihre Vorfahren.« Miriam stellte das ganz sachlich fest. »Und ihr zeugt längst nicht so viele Kinder wie in früheren Zeiten.«
»Für mich klingt das nicht wie ein Beweis – sondern wie eine subjektive Feststellung«, bemerkte ich.
»Sie möchten Beweise sehen?« Miriam griff nach zwei weiteren Akten und schleuderte sie über die glänzende Tischplatte, sodass sie in meine Arme schlitterten. »Da haben Sie welche – allerdings glaube ich nicht, dass Sie viel verstehen werden.«
Auf einer Akte war ein lila umrandetes Etikett aufgeklebt, auf das Benvenguda getippt war. Die zweite hatte ein rot umrandetes Etikett mit dem Namen Good, Beatrice . Beide enthielten ausschließlich Grafiken. Die oberen waren kreisförmig und bunt.
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