Seelen der Nacht
genetischem Bombardement so unter Stress geraten können, dass es zu spontanen Mutationen statt der langsamen natürlichen Auslese kommt.« Miriam zog eine Akte aus einem Hängeregister. Sie schlug sie auf und deutete auf einen Abschnitt in einem schwarzweißen Diagramm. »Dieser Mann starb 1375. Er überlebte die Pocken, aber sein Körper musste sich so heftig gegen den Ansturm der Bakterien wehren, dass es zu einer Mutation auf dem dritten Chromosom kam.«
Marcus kam mit einer Wasserflasche zurück. Ich drehte den Deckel ab und nahm einen tiefen Schluck.
»Die DNA der Vampire steckt voller ähnlicher Mutationen, die aus der Resistenz gegen die unterschiedlichsten Krankheiten entstanden sind. Diese Veränderungen könnten uns irgendwann ausrotten.« Matthew sah mich besorgt an. »Zurzeit versuchen wir vor allem herauszufinden, wodurch in unserem Blut die Bildung neuer Chromosomen ausgelöst werden könnte. Vielleicht liegt die Antwort in den Mitochondrien.«
Miriam schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Die Antwort muss in der Zellkern-DNA liegen. Wenn ein Körper von Vampirblut attackiert wird, muss das eine Reaktion auslösen, die es dem Körper ermöglicht, alle nötigen Veränderungen einzuleiten und sich anzupassen.«
»Mag sein, aber dann sollten wir uns auch die Junk-DNA genauer ansehen. Dort muss alles zu finden sein, was zur Bildung neuer Chromosomen benötigt wird«, beharrte Marcus.
Während die Vampire diskutierten, krempelte ich meinen Ärmel hoch. Sobald der Stoff über meinen Ellbogen rutschte und die Armvenen der kühlen Laborluft ausgesetzt waren, richteten alle drei ihren eisigen Blick auf meine Ellenbeuge.
»Diana«, erklärte Matthew kühl und berührte dabei sein Lazaruszeichen, »was tust du da?«
»Hast du die Handschuhe noch hier, Marcus?«, fragte ich und schob den Ärmel weiter nach oben.
Marcus grinste. »Klar.« Er stand auf und zog ein Paar Latexhandschuhe aus einer Schachtel.
»Du brauchst das nicht zu tun.« Matthew blieben die Worte beinahe in der Kehle stecken.
»Ich weiß. Aber ich will.« Unter der Laborbeleuchtung sahen meine Adern noch blauer aus.
»Gute Venen«, bemerkte Miriam mit wohlwollendem Nicken, und der Vampir an meiner Seite begann prompt warnend zu knurren.
»Wenn du damit Probleme hast, Matthew, dann warte lieber draußen«, sagte ich ruhig.
»Du solltest dir genau überlegen, was du da tust.« Matthew beugte sich schützend über mich, genau wie vor ein paar Tagen, als Peter Knox mich in der Bodleian angegriffen hatte. »Wir können unmöglich vorhersagen, was die Tests ergeben werden. Damit breitest du dein ganzes Leben und deine Familiengeschichte vor uns aus. Bist du ganz sicher, dass du das willst?«
»Wie meinst du das, mein ganzes Leben?« Ich wand mich unter seinem bohrenden Blick.
»Diese Tests werden wesentlich mehr über dich verraten als nur die Farbe deiner Augen und Haare. Sie lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Charaktereigenschaften deine Eltern dir vererbt haben. Ganz zu schweigen von den Charakterzügen aller deiner weiblichen Vorfahren.« Wir sahen uns tief in die Augen.
»Genau darum will ich eine Blutprobe nehmen lassen«, erklärte ich geduldig. Ich sah die Verwirrung in seinem Gesicht. »Mein ganzes Leben habe ich mich gefragt, was das Blut der Bishops, das durch meine Adern fließt, wohl mit mir anstellt. Jeder, der meine Familiengeschichte kennt, hat sich das gefragt. Jetzt werden wir es erfahren.«
Es kam mir so einfach vor. Mein Blut konnte Matthew Dinge verraten, die ich auf keinen Fall rein zufällig entdecken wollte. Ich wollte
keine Möbel in Brand setzen und durch keinen Baum fliegen und niemanden an einer Krankheit sterben lassen, nur weil ich zwei Tage zuvor in einem Wutanfall geflucht hatte. Vielleicht glaubte Matthew, dass es riskant war, mein Blut untersuchen zu lassen. Mir erschien es in Anbetracht der Alternativen das Sicherste zu sein.
»Außerdem hast du selbst gesagt, dass wir Hexen aussterben. Ich bin die letzte Bishop. Vielleicht hilft euch mein Blut herauszufinden, warum das so ist.«
Wir maßen uns mit Blicken, Hexe und Vampir, während Miriam und Marcus geduldig abwarteten. Schließlich atmete Matthew resignierend aus. »Bring mir einen Probensatz«, sagte er zu Marcus.
»Ich kann das erledigen«, wehrte Marcus ab und ließ einen Latexhandschuh an sein Handgelenk schnalzen. Miriam versuchte ihn zurückzuhalten, aber Marcus kam mit einer Schachtel voller Lanzetten und Pipetten auf mich
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