Seelen der Nacht
und hob einen Stapel Akten heraus. »Wir sind nur ein Labor unter Hunderten in aller Welt, die durch die Methoden der Genetik den Ursprung beziehungsweise die Auslöschung verschiedener Arten erforschen wollen. Allerdings unterscheiden wir uns von allen anderen Laboren darin, dass wir als Einzige auch nichtmenschliche, humanoide Spezies untersuchen.«
Seine Worte fielen kalt und klar auf den Fliesenboden.
»Ihr studiert die Gene der Vampire?«
»Ebenso wie die der Hexen und Dämonen.« Matthew zog mit dem Fuß einen Laborhocker auf Rollen heran und ließ mich darauf Platz nehmen.
Ein Vampir mit schwarzen Converse Hightops kam um die Ecke geschossen, bremste quietschend ab und zerrte sich ein Paar Latexhandschuhe über die Finger. Er war Ende zwanzig und hatte die blonden Haare und blauen Augen eines kalifornischen Surfers. Direkt neben Matthew wirkte der normal große und muskulöse Mann fast grazil, doch sein drahtiger Körper vibrierte vor Spannung.
»AB negativ«, stellte er fest und studierte mich voller Bewunderung. »Wow, ein genialer Fund.« Er schloss die Augen und atmete tief ein. »Und noch dazu eine Hexe!«
»Marcus Whitmore, ich möchte dir Dr. Diana Bishop vorstellen. Sie ist Geschichtsdozentin in Yale.« Matthew sah den jüngeren Vampir streng an. »Und sie ist als Gast hier, nicht als Nadelkissen.«
»Ach.« Marcus sah mich enttäuscht an, doch dann hellte sich seine Miene auf. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich trotzdem eine Blutprobe nehme?«
»Ehrlich gesagt, ja.« Ich hatte keine Lust, mich von einem Vampir-Phlebologen pieksen und piesacken zu lassen.
Marcus pfiff durch die Zähne. »Sie zeigen eine hervorragende Stressreaktion, Dr. Bishop. Was für ein Adrenalinausstoß.«
»Was ist da los?«, hörte ich einen bekannten Sopran rufen. Gleich darauf kam Miriams feingliedriger Körper in mein Blickfeld.
»Dr. Bishop fühlt sich von unserem Labor ein bisschen überwältigt, Miriam.«
»Entschuldigung. Mir war nicht klar, dass sie hier ist«, sagte Miriam. »Sie riecht anders. Ist das Adrenalin?«
Marcus nickte. »Exakt. Sind Sie immer so drauf? Voll unter Adrenalin und ohne zu wissen, wohin damit?«
»Marcus.« Matthew verstand es, mit nur zwei Silben eine eisige Warnung auszusprechen.
»Seit ich sieben war.« Ich sah ihm offen in die unglaublich blauen Augen.
Marcus pfiff schon wieder durch die Zähne. »Das erklärt eine Menge. Da kann kein Vampir widerstehen.« Damit meinte Marcus wohl kaum meine äußere Erscheinung, auch wenn er in meine Richtung zeigte.
»Wie meinen Sie das?« Die Neugier siegte über meine Angst.
Matthew zupfte an seinen Schläfen und bedachte Marcus mit einem finsteren Blick, der Milch zum Stocken gebracht hätte. Der jüngere Vampir sah mich herablassend an und knackte mit den Knöcheln. Das scharfe Geräusch ließ mich zusammenzucken.
»Vampire sind Jäger, Diana«, erklärte Matthew. »Stressreaktionen locken uns an. Wir können es riechen, wenn Menschen oder Tiere unruhig werden.«
»Und wir können es schmecken. Das Adrenalin macht das Blut noch köstlicher«, sagte Marcus. »Schmackhaft, samtig und süß im Abgang. Wirklich wahnsinnig lecker.«
Ein tiefes Knurren stieg aus Matthews Kehle. Die Lippen entblößten die Zähne, und Marcus trat einen Schritt zurück. Miriam legte eine feste Hand auf den Unterarm des blonden Vampirs.
»Was denn, was denn? Ich bin nicht hungrig«, protestierte Marcus und schüttelte die Hand wieder ab.
»Dr. Bishop weiß vielleicht nicht, dass Vampire keinen Hunger empfinden müssen, um auf Adrenalin zu reagieren, Marcus.« Matthew konnte sich nur mühsam beherrschen. »Vampire müssen nicht unbedingt Beute machen, trotzdem wollen wir immer jagen und die Adrenalinreaktion unserer Opfer spüren.«
Deshalb also hatte Matthew mich immerzu zum Essen ausführen wollen. Es war nicht mein Geißblattduft, der ihn so hungrig machte – sondern das überschüssige Adrenalin.
»Danke für die Erklärung, Matthew.« Auch nach dem gestrigen Abend wusste ich immer noch relativ wenig über Vampire. »Ich werde versuchen, mich zu beruhigen.«
»Nicht nötig«, beschied Matthew knapp. »Es ist nicht an dir, dich zu beruhigen. Sondern an uns, ein Mindestmaß an Höflichkeit und Selbstbeherrschung zu zeigen.« Er warf Marcus einen finsteren Blick zu und zog eine Akte heraus.
Miriam sah mich besorgt an. »Vielleicht sollten wir am Anfang beginnen.«
»Nein. Ich glaube, es ist besser, am Ende anzufangen«, widersprach er
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