Seelen-Transfer
Er hatte es durchgeführt und war jetzt völlig unauffindbar. Noch mehr – er konnte es immer und immer wieder tun. Die Gesetzeshüter würden im Kreis herumrennen und nie etwas finden.
Das einzige Problem war, daß er nicht wußte, wessen Körper er jetzt übernommen hatte. Abgesehen von seinem Äußeren, war er immer Jensen, mit Jensens Verstand und Jensens Erinnerungen. Die von ihm vertriebene Persönlichkeit ließ ihm zwar ihr Gehirn zurück, niemals aber seinen Inhalt. Es schien, als sei das Gedächtnis eher dem geistigen Bereich zuzuordnen als einer elektromagnetischen Aufzeichnung im Kleinhirn. Die Wissenschaft würde sich dafür sehr interessieren.
Jensen durchforschte die Taschen seiner Jacke, suchte nach Papieren, die vielleicht Hinweise darauf enthielten, wer er jetzt sein sollte. Einige Informationen über seinen neuen Wirtskörper wären vielleicht sinnvoll, bevor er sich nach neuen Jagdgründen umsah.
„He, Sam, woher hast du diese Limousine?“ Die Stimme von der Seite überraschte ihn. Ein kantiges, phlegmatisches Gesicht sah ihn durch das offene Fenster herein an. Der Unterkiefer mahlte beständig auf einem Kaugummi herum; der Neugierige erwartete eine Antwort.
Also war er jetzt Sam Soundso. Jensens Gehirn arbeitete schnell. Wenn er sich auf eine Unterhaltung einließ, bestand die Möglichkeit, daß er auffiel. Alles abzuleugnen war die sicherste Methode.
Sein gegenwärtiges Gesicht war nicht so flexibel wie seine bisherigen, aber er versuchte, ihm einiges an Falten beizubringen, als er sich dem Frager jetzt ganz zuwandte. „Das ist mein eigener Wagen – und ich bin nicht Sam.“
„Was?“ Der Unterkiefer kam zum Stillstand, der Mund blieb halboffen stehen, enthüllte dabei zwei fast zahnlose Kiefer. „Sie sind nicht Sam?“
„Das sagte ich doch. Sie müssen sich irren. Ich möchte diesen Sam gern mal kennenlernen. Vielleicht sind wir Doppelgänger. Sie sind inzwischen der zehnte, der mich für ihn hält.“
„Na, ich will verdammt sein!“ sagte der andere. „Sie sind todsicher sein Ebenbild.“
„Ich bin niemandes Ebenbild!“ antwortete Jensen. Mit diesen Worten startete er den Wagen und fuhr davon, ließ das Pferdegesicht mit offenem Mund zurück.
Dies war ein Nachteil bei diesem Körperwechsel-Projekt. Die Chancen standen recht hoch, daß man eine in der Umgebung bekannte Person übernahm und dadurch in Komplikationen verwickelt wurde. In Zukunft, so beschloß Jensen, würde er mehr Sorgfalt in seine geplanten Opfer investieren. Fremde in einem bestimmten Gebiet müßten eigentlich am besten geeignet sein. Neuankömmlinge in diesem Land ganz sicher noch besser. Jedenfalls existierte dieses Problem jetzt für ihn, und er durfte es nicht vergessen und mußte auf jeden seiner Schritte genau achten.
Großen Spaß bereitete Jensen immer die Lektüre der Tageszeitungen. Ihm gefiel dieser Anflug von Geheimnis und Dramatik, mit dem die Journalisten ihre Geschichten über Verbrechen anreicherten.
Hier stand wieder etwas – es handelte von seinem sechsten erfolgreichen Bankraub. Gemäß diesem Journalisten war die Person, die diesen letzten Banküberfall begangen hatte, fast ein Heiliger gewesen, der bisher eine lupenreine Weste gehabt hatte. Später hatte man ihn tot aufgefunden, seine Beute war nirgends zu finden gewesen. Die große Frage war, wie jemand, der bisher einen untadeligen Ruf besessen hatte, plötzlich ein solches Verbrechen begehen konnte, außerdem wollte man wissen, warum er anschließend gestorben war und wo er seine Beute versteckt hatte.
„Ha!“ kicherte Jensen, während er die Zeitungsspalten überflog.
Und trotzdem konnte ein Journalist manchmal auch eine Spur Klugheit zeigen. Der Schreiber dieses Artikels, ein Mann, der die Initialen A. K. D. benutzte, hatte dieses Verbrechen mit dem vorhergehenden in Verbindung gebracht. Die Gemeinsamkeiten hatte er groß herausgestellt: Banküberfälle nach dem gleichen Muster, ausgeführt von bisher unbescholtenen Leuten, die anschließend tot aufgefunden worden waren, die Beute fort. Abschließend erinnerte er an die offizielle Vernichtung einer großen Menge indischen Hanfs durch die Behörden und deutete dunkel das heimtückische Vertreiben von Drogen in nach außen hin respektablen Bevölkerungskreisen an.
„Was für ein Witz!“ sagte Jensen lachend. Dann entdeckte er die Anzeige. Sie war sehr klein und in der Rubrik „Persönliches“ abgedruckt; um sie etwas hervorzuheben, hatte man sie eingerahmt. Langsam las
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