Seelen
ihm Brandt. Sein Blick schweifte erneut durch den Raum und fiel immer wieder auf mich. »Hast du vielleicht ein Seil zur Hand?«, fragte er. Er hob die Ecke des Lakens auf einem leeren Feldbett an und untersuchte es.
»Ein Seil?«, wiederholte Doc verständnislos.
»Für den Parasiten. Kyle hat mich hergeschickt, um ihn zu fesseln.«
Meine Muskeln zogen sich unfreiwillig zusammen; meine Hand drückte Walters Finger zu fest und er wimmerte. Ich versuchte sie wieder zu entspannen, während ich meinen Blick auf Brandts hartes Gesicht gerichtet hielt. Er sah Doc erwartungsvoll an.
»Du bist hier, um Wanda zu fesseln?«, fragte Doc. Seine Stimme klang wieder scharf. »Und wie kommst du auf die Idee, dass das nötig sein könnte?«
»Komm schon, Doc. Du bist doch nicht blöd. Hier gibt es ziemlich große Fenster und eine Menge reflektierendes Metall.« Brandt zeigte auf einen Aktenschrank an der hinteren Wand. »Du musst nur einen Augenblick unaufmerksam sein und schon wird es der Sucherin Signale senden.«
Ich sog schockiert die Luft ein; es klang laut in dem stillen Zimmer.
»Siehst du?«, sagte Brandt. »Ich hab seinen Plan sofort durchschaut.«
Ich hätte mich am liebsten unter einem Felsbrocken verkrochen, um mich vor den hervorstehenden, gnadenlosen Augen meiner Sucherin zu verstecken, und er glaubte, ich wolle ihr den Weg hierher zeigen. Sie hier hereinbringen, um sie alle zu töten: Jamie, Jared, Jeb, Ian … Ich musste würgen.
»Du kannst jetzt gehen, Brandt«, sagte Doc mit eisiger Stimme. »Ich werde ein Auge auf Wanda haben.«
Brandt hob eine Augenbraue. »Was ist bloß los mit euch? Mit dir und Ian und Trudy und den anderen? Es ist, als stündet ihr alle unter Hypnose. Wenn eure Augen nicht okay wären, müsste ich mich fragen …«
»Nur zu, Brandt, stell dir alle Fragen, die du willst. Aber verschwinde, während du das tust.«
Brandt schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Auftrag zu erfüllen.«
Doc ging auf Brandt zu und blieb zwischen ihm und mir stehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
»Du wirst sie nicht anrühren.«
Der dröhnende Hubschrauberpropeller war in der Ferne wieder zu hören. Wir waren alle mucksmäuschenstill und hielten den Atem an, bis das Geräusch verklungen war.
Brandt schüttelte den Kopf, als es wieder ruhig war. Er sagte nichts, ging zum Schreibtisch und nahm Docs Stuhl. Er trug ihn zur Wand, an der der Aktenschrank stand, knallte ihn auf den Boden und ließ sich darauf fallen, so dass die Metallbeine auf dem Fels quietschten. Dann beugte er sich vor, stützte die Hände auf die Knie und starrte mich an. Ein Geier, der darauf wartete, dass ein sterbender Hase aufhörte sich zu bewegen.
Docs Zähne schlugen mit einem leisen Knall aufeinander.
»Gladys«, murmelte Walter und tauchte aus seinem betäubten Schlaf auf. »Da bist du ja.«
Viel zu nervös, um unter Brandts Blick mit ihm zu sprechen, streichelte ich nur vorsichtig seine Hand. Seine verhangenen Augen musterten mein Gesicht und sahen Gesichtszüge, die nicht da waren.
»Es tut weh, Gladdie. Es tut so weh.«
»Ich weiß«, flüsterte ich. »Doc?«
Er stand schon bereit, die Brandyflasche in der Hand. »Mund auf, Walter.«
Das leise Dröhnen des Hubschraubers war zu hören, weit weg, aber trotzdem viel zu nah. Doc fuhr zusammen und ein paar Tropfen Brandy spritzten auf meinen Arm.
Es war ein fürchterlicher Tag. Der schlimmste meines ganzen Lebens auf diesem Planeten, schlimmer als mein erster Tag hier in den Höhlen oder der letzte heiße, trockene Tag in der Wüste, nur Stunden vor meinem vermeintlich sicheren Tod.
Der Hubschrauber zog ununterbrochen seine Kreise. Manchmal verstrich mehr als eine Stunde und ich dachte schon, jetzt wäre es vorbei. Dann kehrte das Geräusch zurück und in Gedanken sah ich das verbohrte Gesicht der Sucherin vor mir, ihre hervortretenden Augen, die die leere Wüste nach irgendwelchen Hinweisen auf menschliches Leben absuchten. Ich versuchte sie durch reine Willenskraft zu vertreiben, indem ich mich fest auf meine Erinnerungen an das nichtssagende, farblose Gesicht der Wüste konzentrierte, als könnte ich so irgendwie sicherstellen, dass sie nichts anderes sah, als könnte ich sie dermaßen langweilen, dass sie sich zurückzog.
Brandt wandte seinen argwöhnischen Blick nicht von mir ab. Ich konnte ihn immer spüren, auch wenn ich ihn nur selten ansah. Es wurde etwas besser, als Ian mit Frühstück und Mittagessen zurückkehrte, ganz dreckig vom Packen für eine
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