Seelen
Nach einer Weile, einer halben Stunde vielleicht, begann ich auf Ians Schritte im Tunnel zu lauschen und mich zu fragen, warum er wohl so lange brauchte.
Doc stand die ganze Zeit neben seinem Schreibtisch und starrte mit hängenden Schultern ins Leere. Es war deutlich zu sehen, wie nutzlos er sich fühlte.
Und dann hörte ich etwas, aber es waren keine Schritte.
»Was ist das?«, fragte ich Doc flüsternd. Walter war wieder ruhig, vielleicht bewusstlos. Ich wollte ihn nicht stören.
Doc drehte sich zu mir um und legte gleichzeitig den Kopf schief, um zu lauschen.
Das Geräusch war ein merkwürdiges Dröhnen, ein schnelles, schwaches Hämmern. Ich hatte den Eindruck, es würde ein bisschen lauter, aber dann klang es doch wieder leiser.
»Komisch«, sagte Doc. »Hört sich fast an wie …« Er schwieg und runzelte konzentriert die Stirn, während das ungewohnte Geräusch verschwand.
Wir lauschten angestrengt und hörten daher die Schritte, als sie noch weit entfernt waren. Sie passten nicht zu dem erwarteten ruhigen Gang des zurückkehrenden Ian. Er lief - nein, rannte.
Das kündigte Schwierigkeiten an, und Doc reagierte augenblicklieh. Er eilte nach draußen, um Ian entgegenzugehen. Ich wünschte, ich könnte ebenfalls nachschauen, was los war, aber ich wollte Walter nicht aufregen, indem ich erneut meine Hand losmachte. Ich versuchte stattdessen mitzuhören, was draußen vor sich ging.
»Brandt?«, hörte ich Doc überrascht sagen.
»Wo ist es? Wo ist es? «, wollte der andere Mann atemlos wissen. Die rennenden Schritte hielten nur einen Augenblick lang an, dann waren sie wieder zu hören, wenn auch nicht ganz so schnell.
»Wovon redest du?«, rief Doc ihm in meine Richtung hinterher.
»Von dem Parasiten!«, zischte Brandt ungeduldig und nervös, als er durch den Torbogen platzte.
Brandt war kein großer Mann wie Kyle oder Ian; er war wahrscheinlich nur ein paar Zentimeter größer als ich, aber er war dick und massiv wie ein Nashorn. Seine Augen suchten den Raum ab; sein durchdringender Blick ruhte eine halbe Sekunde lang auf meinem Gesicht, nahm anschließend Walters bewusstlosen Zustand wahr und huschte erneut im Raum umher, um schließlich wieder auf mir zu landen.
Dann hatte Doc Brandt eingeholt und seine langen Finger packten ihn genau in dem Moment an der Schulter, als der breite Mann den ersten Schritt auf mich zu machte.
»Was tust du hier?«, fragte Doc, wobei seine Stimme einem Knurren ähnlicher war als je zuvor.
Bevor Brandt antworten konnte, war das seltsame Geräusch wieder da, erst leise, dann dröhnend laut, dann wieder leise, so plötzlich, dass wir alle wie erstarrt waren. Das Hämmern war rasend schnell und ließ die Luft vibrieren, als es am lautesten war.
»Ist das … ist das ein Hubschrauber?«, fragte Doc, der plötzlich flüsterte.
»Ja«, flüsterte Brandt zurück. »Das ist die Sucherin - die von neulich, die nach dem da gesucht hat.« Er wies mit dem Kinn auf mich.
Mein Hals war plötzlich zu eng - meine Atemzüge waren dünn und flach und versorgten mich nicht mit genügend Luft. Mir wurde schwindelig.
Nein. Nicht jetzt. Bitte.
Was bitte ist ihr Problem? , schnauzte Mel in meinem Kopf. Warum kann sie uns nicht einfach in Ruhe lassen?
Wir können nicht zulassen, dass sie ihnen etwas tut.
Aber wie können wir sie aufhalten?
Ich weiß nicht. Das ist alles meine Schuld!
Meine auch, Wanda. Unsere.
»Bist du sicher?«, fragte Doc.
»Kyle hat sie eindeutig durchs Fernglas erkannt, als sie über uns schwebte. Es ist dieselbe, die er schon mal gesehen hat.«
»Sucht sie genau hier « Docs Stimme klang erschrocken. Er drehte sich halb um und warf einen Blick in Richtung Ausgang. »Wo ist Sharon?«
Brandt schüttelte den Kopf. »Sie durchkämmt einfach die Gegend hier. Fliegt Schleifen von Picacho aus. Es sieht nicht so aus, als hätte sie irgendwas hier in der Nähe ins Auge gefasst. Sie hat ein paar Kreise über der Stelle gedreht, wo wir das Auto zurückgelassen haben.«
»Und Sharon?«, fragte Doc noch einmal.
»Sie ist mit Lucina bei den Kindern. Es geht ihnen gut. Die Jungs packen ein paar Sachen zusammen, falls wir heute Nacht aufbrechen müssen, aber Jeb meint, das ist nicht sehr wahrscheinlich …«
Doc atmete schwer aus und ging dann zu seinem Schreibtisch, um sich dagegen zulehnen. Er sah aus, als hätte er einen langen Sprint hinter sich. »Also eigentlich nichts Neues«, murmelte er.
»Nein. Wir müssen nur ein paar Tage vorsichtig sein«, versicherte
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