Seelen
beide nicht wussten, was das eigentlich war. Abgesehen natürlich von seinen dauernden Versuchen, mich von meiner momentanen Angst abzulenken. Ich wusste, dass ich das nicht wollte. Ich wollte mir Sorgen machen; es war das Einzige, was ich tun konnte.
Es war jetzt einen Monat her, dass ich wieder zu Jamie und Jared ins Zimmer gezogen war. Drei Wochen davon hatten wir vier zusammengewohnt. Jared schlief auf einer Matratze, die ans Kopfende des Bettes gezwängt war, auf dem Jamie und ich schliefen.
Ich hatte mich daran gewöhnt - an das mit dem Schlafen zumindest; es fiel mir jetzt schwer, allein in dem leeren Zimmer zu sein. Ich vermisste die Geräusche der beiden anderen atmenden Körper.
Ich hatte mich allerdings nicht daran gewöhnt, jeden Morgen mit Jared im selben Zimmer aufzuwachen. Ich brauchte immer noch eine Sekunde zu lange, um seinen Morgengruß zu erwidern. Ihm war auch nicht ganz wohl dabei, aber er war immer höflich. Wir waren beide sehr höflich.
Es lief inzwischen fast immer nach einem festen Schema ab.
»Guten Morgen, Wanda, wie hast du geschlafen?«
»Gut, danke, und du?«
»Gut, danke. Und … Mel?«
»Sie auch, danke.«
Jamies euphorische Stimmung und sein glückliches Geplapper ließen die Situation nicht zu angespannt werden. Er sprach oft über - und mit - Melanie, bis ihr Name in Jareds Anwesenheit nicht mehr so ein Reizwort war wie früher. Von Tag zu Tag wurde es ein bisschen angenehmer, mein Leben ein bisschen erfreulicher.
Wir waren … beinahe glücklich. Beide, Melanie und ich.
Und dann war Jared vor einer Woche erneut auf Tour gegangen - hauptsächlich, um kaputte Werkzeuge zu ersetzen - und hatte Jamie mitgenommen.
»Bist du müde?«, fragte Ian.
Ich merkte, dass ich mir die Augen rieb. »Eigentlich nicht.«
»Du schläfst immer noch nicht gut.«
»Es ist zu still.«
»Ich könnte bei dir schlafen - oh, beruhige dich, Melanie. Du weißt, was ich meine.«
Ian bemerkte immer, wenn Melanies Feindseligkeit mich zusammenzucken ließ.
»Du meintest doch, sie würden heute zurückkommen«, forderte ich ihn heraus.
»Du hast Recht. Vermutlich ist es nicht nötig, die Schlafplätze umzuverteilen.«
Ich seufzte.
»Vielleicht solltest du dir den Nachmittag freinehmen.«
»Sei nicht albern«, erklärte ich ihm. »Ich bin fit genug zum Arbeiten.«
Er grinste, als hätte ich etwas gesagt, das ihm gefiel. Etwas, von dem er gehofft hatte, ich würde es sagen.
»Gut. Ich könnte Hilfe bei einer Sache gebrauchen.«
»Was für eine Sache?«
»Ich zeige es dir - bist du fertig mit Essen?«
Ich nickte.
Er nahm meine Hand, als er mich aus der Küche führte. Auch das war inzwischen so normal, dass Melanie kaum protestierte.
»Warum gehen wir hier lang?« Auf dem abgelegenen östlichen Feld gab es nichts mehr zu tun. Wir waren in der Gruppe gewesen, die es heute Morgen bewässert hatte.
Ian antwortete nicht. Er grinste immer noch.
Er führte mich weit in den östlichen Tunnel hinein, am Feld vorbei und in den Gang, der nur zu einem Ort führte. Ich konnte den Widerhall von Stimmen hören und ein gelegentliches dumpfes Geräusch, das ich nicht gleich zuordnen konnte. Der abgestandene, muffige Schwefelgeruch half mir, die Geräusche mit der dazugehörigen Erinnerung zu verknüpfen.
»Ian, ich bin nicht in der Stimmung.«
»Du hast gesagt, du wärst fit.«
»Zum Arbeiten, nicht zum Fußballspielen.«
»Aber Lily und Wes werden furchtbar enttäuscht sein. Ich habe ihnen ein Spiel zwei gegen zwei versprochen. Sie haben heute Morgen so hart gearbeitet, um sich heute Nachmittag freinehmen zu können …«
»Versuch nicht, mir Schuldgefühle einzureden«, sagte ich, als wir um die letzte Kurve bogen. Ich konnte das blaue Licht mehrerer Lampen sehen und Schatten, die davor umherflitzten.
»Klappt das etwa nicht?«, zog er mich auf. »Komm schon, Wanda. Es wird dir guttun.«
Er zog mich in die niedrige Sporthalle, wo Lily und Wes sich den Ball über die ganze Länge des Spielfelds hinweg zuspielten.
»Hey, Wanda. Hey, Ian«, rief Lily uns zu.
»Dieses Spiel gewinne ich, O’Shea«, warnte ihn Wes.
»Du wirst mich doch nicht gegen Wes verlieren lassen, oder?«, murmelte Ian.
»Du könntest sie auch allein schlagen.«
»Es wäre trotzdem eine Strafe. Ich würde nie darüber hinwegkommen.«
Ich seufzte. »Also gut. Dann los.«
Ian umarmte mich mit - wie Melanie fand, unnötiger - Begeisterung. »Du bist die Beste im ganzen bekannten Universum.«
»Danke«, murmelte ich
Weitere Kostenlose Bücher