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Seelen

Titel: Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenie Meyer
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Gürtel gesteckt. Er streckte eine Hand aus, in der ein langes Stück dunkler Stoff lag. Ich begriff.
    Die geflüsterten Worte entschlüpften mir sofort. »Ja, verbinde mir die Augen.«
    Er nickte und ich schloss die Augen, während er das Tuch darüberlegte. Ich würde sie sowieso geschlossen halten.
    Er verknotete das Tuch eilig und fest. Als er fertig war, drehte er mich schnell im Kreis - einmal, zweimal …
    Seine Hände hielten mich an. »Das reicht«, sagte er. Und dann packte er mich fester und hob mich hoch. Ich keuchte überrascht, als er mich über die Schulter warf. Mein Kopf und meine Brust hingen ihm neben dem Gewehr über den Rücken; seine Arme drückten meine Beine gegen seine Brust und schon waren wir unterwegs. Ich wippte auf und ab, als er lief, und mein Gesicht streifte bei jedem seiner Schritte über sein Hemd.
    Ich hatte keinerlei Gefühl dafür, in welche Richtung wir gingen; und ich versuchte auch nicht, es zu erraten, zu erkennen oder zu erspüren. Ich konzentrierte mich nur auf den Rhythmus seiner Schritte und zählte mit. Zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig …
    Ich konnte spüren, wie er sich vorbeugte, als der Weg abwärts und dann wieder aufwärts führte. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken.
    Vierhundertzwölf, vierhundertdreizehn, vierhundertvierzehn …
    Ich merkte es sofort, als wir draußen waren. Ich konnte die trockene, saubere Wüstenluft riechen. Es war heiß, obwohl es schon fast Mitternacht sein musste.
    Er ließ mich von seiner Schulter gleiten und stellte mich auf die Füße.
    »Der Boden ist eben. Glaubst du, du kannst mit verbundenen Augen rennen?«
    »Ja.«
    Er umklammerte meinen Ellbogen und lief schnellen Schrittes los. Es war nicht einfach. Immer und immer wieder fing er mich auf, bevor ich hinfallen konnte. Nach einer Weile begann ich mich daran zu gewöhnen und es gelang mir besser, trotz der kleinen Kuhlen und Steigungen das Gleichgewicht zu halten. Wir rannten, bis wir beide außer Atem waren.
    »Wenn … wir den Jeep … erreichen … sind wir … in Sicherheit.«
    Den Jeep? Ich spürte eine eigenartige Welle der Nostalgie. Mel hatte diesen Jeep seit der ersten Etappe ihres katastrophalen Chicago-Trips nicht mehr gesehen, hatte nicht gewusst, dass es ihn überhaupt noch gab.
    »Und wenn … nicht?«, fragte ich.
    »Wenn sie uns erwischen … bringen sie dich um. Damit hatte … Ian Recht.«
    Ich versuchte schneller zu rennen. Nicht um mein Leben zu retten - sondern weil ich die Einzige war, die Jamies Leben retten konnte. Ich stolperte wieder.
    »Ich nehme dir … die Augenbinde ab. Dann bist du … schneller.«
    »Bist du sicher?«
    »Sieh dich … nicht um. Okay?«
    »Versprochen.«
    Er zerrte an den Knoten an meinem Hinterkopf. Als der Stoff vor meinen Augen verschwand, blickte ich starr zu Boden.
    Es machte einen Riesenunterschied. Das Mondlicht war hell und der Sand ganz weich und blass. Jared ließ seinen Arm sinken und lief schneller. Ich hielt leicht mit ihm Schritt. Langstreckenläufe waren meinem Körper vertraut. Ich fiel in meinen bevorzugten Rhythmus: ein Kilometer in dreieinhalb Minuten, schätzte ich. Dieses Tempo konnte ich nicht ewig aufrechterhalten, aber ich würde alles tun, um es zu versuchen.
    »Hörst du … was?«, fragte er.
    Ich lauschte. Nur zwei Paar Füße, die über den Sand liefen.
    »Nein.«
    Er grunzte zustimmend.
    Ich nahm an, dass er deshalb das Gewehr gestohlen hatte. Ohne Gewehr konnten sie uns auf große Entfernung nicht schnappen.
    Es dauerte noch etwa eine Stunde. Wir wurden beide langsamer. Mein Mund lechzte nach Wasser.
    Ich hatte die ganze Zeit nicht vom Boden aufgesehen, deshalb erschrak ich, als er mir die Hand über die Augen legte. Ich strauchelte und er verfiel in Schritttempo.
    »Wir haben es geschafft. Gleich da vorne …«
    Er ließ die Hand über meinen Augen liegen und zog mich vorwärts. Ich hörte, wie unsere Schritte von irgendwo widerhallten. Die Wüste war hier nicht mehr ganz so flach.
    »Hier rein.«
    Seine Hände verschwanden.
    Es war fast so dunkel wie mit der Hand über den Augen. Wieder eine Höhle. Nicht besonders tief. Wenn ich mich umdrehte, würde ich hinaussehen können. Ich drehte mich nicht um.
    Der Jeep wurde in der Dunkelheit sichtbar. Er sah genauso aus wie ich ihn in Erinnerung hatte, dieses Fahrzeug, das ich noch nie gesehen hatte. Ich sprang über die Tür auf den Sitz.
    Jared saß bereits. Er beugte sich zu mir herüber und verband mir wieder die Augen. Ich

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