Seelen
vor, lehnte sich aber wieder an die Wand.
Ian sah ebenfalls so aus, als wollte er mir folgen, aber ein einziger Blick von mir hielt ihn davon ab. Jared sah mit unergründlicher Miene zu, wie ich die Küche verließ.
»Sie meckert die ganze Zeit«, erklärte mir Jeb leise, als wir zum Loch gingen. »Nicht so wie du. Fragt ständig nach mehr Essen, Wasser, Kissen … Außerdem wirft sie mit Drohungen um sich. ›Die Sucher werden euch alle kriegen!‹ Solche Sachen. Vor allem für Brandt ist es schwer. Sie bringt ihn an den Rand seiner Selbstbeherrschung.«
Ich nickte. Das überraschte mich nicht im Geringsten.
»Allerdings hat sie nicht versucht zu fliehen. Viel Gerede und nichts dahinter. Sobald sie die Waffen auf sie richten, kuscht sie.«
Ich schauderte.
»Ich glaube, sie hat verdammt viel Schiss vor dem Tod«, murmelte Jeb vor sich hin.
»Glaubst du wirklich, das ist der … sicherste Platz für sie?«, fragte ich, als wir den schwarzen, gewundenen Tunnel hinuntergingen.
Jeb lachte. »Du hast den Weg nach draußen auch nicht gefunden«, erinnerte er mich. »Manchmal ist das beste Versteck eines, das man direkt vor Augen hat.«
»Ihre Motivation zu entkommen ist aber größer als meine«, erwiderte ich rundheraus.
»Die Jungs lassen sie nicht aus den Augen. Keine Sorge.«
Wir waren fast da. Der Tunnel beschrieb einen scharfen Knick in Form eines V.
Wie oft war ich um diese Kurve gebogen und mit der Hand über die Innenseite der spitzwinkligen Abbiegung gefahren, so wie jetzt? Ich hatte mich nie an der Außenwand entlang getastet. Sie war uneben, mit unvermittelt hervorspringenden Felsen, an denen man sich verletzen konnte oder die einen zum Stolpern brachten. Sich innen entlang zu tasten war schließlich auch der kürzere Weg …
Als sie mir zum ersten Mal gezeigt hatten, dass das V kein V, sondern ein Y war - zwei Wege, die von einem anderen Tunnel abzweigten, von dem Tunnel -, war ich mir ziemlich blöd vorgekommen. Wie Jeb schon sagte, manchmal war es das Schlaueste, etwas vor aller Augen zu verstecken. Die wenigen Male, die ich verzweifelt genug gewesen war, über eine Flucht aus den Höhlen auch nur nachzudenken, hatte mein Gehirn diese Stelle in meinen Überlegungen schlichtweg übersprungen. Das hier war das Loch, das Gefängnis. In meiner Vorstellung war es der dunkelste, tiefste Schacht in den Höhlen. Deshalb hatten sie mich dort vergraben.
Sogar Mel, die gewiefter war als ich, hätte sich niemals träumen lassen, dass sie mich nur ein paar Schritte vom Ausgang entfernt gefangen gehalten hatten.
Es war noch nicht einmal der einzige Ausgang. Aber der andere war klein und eng, ein Spalt, durch den man hindurchkriechen musste. Ich hatte ihn nicht gefunden, weil ich aufrecht durch die Höhlen gelaufen war. Nach so einem Tunnel hatte ich nicht gesucht. Außerdem hatte ich nie die Winkel von Docs Krankenflügel erforscht. Ich hatte ihn von Anfang an gemieden.
Ihre Stimme - vertraut, obwohl sie Teil eines anderen Lebens zu sein schien - unterbrach meine Gedanken.
»Igitt! Ich frage mich, wie ihr bei diesem Fraß überleben könnt.«
Etwas aus Plastik klapperte gegen den Fels.
Ich konnte das blaue Licht um die letzte Ecke scheinen sehen.
»Ich wusste nicht, dass Menschen ausreichend Geduld haben, um jemanden verhungern zu lassen. So ein Plan kommt mir irgendwie zu komplex vor für euch kurzsichtige Kreaturen.«
Jeb lachte. »Ich muss sagen, ich bin beeindruckt von den Jungs. Es wundert mich, dass sie das so lange ausgehalten haben.«
Wir bogen in die beleuchtete Sackgasse ein. Brandt und Aaron, die so weit wie möglich vom Ende des Tunnels, wo die Sucherin hin- und herging, entfernt saßen, jeweils mit einer Waffe in der Hand, seufzten erleichtert, als sie uns sahen.
»Endlich«, murmelte Brandt. Sein Gesicht war von tiefen Kummerfalten durchzogen.
Die Sucherin hielt inne.
Ich war überrascht, als ich sah, unter welchen Bedingungen sie hier festgehalten wurde.
Sie saß nicht in dem winzigen, engen Loch, sondern konnte sich relativ frei bewegen und die paar Schritte, die die Höhle hergab, hin- und herstapfen. Auf dem Boden, ganz am Ende des Tunnels lagen eine Matte und ein Kissen. Ein Plastiktablett stand etwa in der Mitte der Höhle schräg an die Wand gelehnt; ein paar Yambohnenwurzeln und eine Suppenschale lagen daneben. Rundherum war Suppe verspritzt. Das erklärte das Klappern, das ich gerade gehört hatte - sie hatte mit ihrem Essen geworfen. Es sah allerdings so aus, als hätte
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