Seelen
Sie gehört. Also sind Sie allein hergekommen.«
Die Sucherin antwortete nicht. Sie trat noch einen Schritt zurück, und in ihrer Miene schien Zweifel auf. Einen Augenblick lang sah sie seltsam verletzlich aus, als hätten meine Worte den Schild weggerissen, hinter dem sie sich versteckt hatte.
»Sie werden nach Ihnen suchen, aber eigentlich haben sie Ihnen nie geglaubt, stimmt’s?«, sagte ich und beobachtete, wie jedes meiner Worte von ihren verzweifelten Augen bestätigt wurde. Das machte mich vollkommen sicher. »Also werden sie die Suche nicht forcieren. Wenn sie Sie nicht finden, wird ihr Interesse nachlassen. Wir werden vorsichtig sein, wie immer. Sie werden uns nicht finden.«
Jetzt konnte ich zum ersten Mal echte Angst in ihren Augen sehen. Das - für sie - entsetzliche Wissen, dass ich Recht hatte. Und ich schöpfte plötzlich Zuversicht für mein kleines Menschennest, meine kleine Familie. Ich hatte wirklich Recht. Sie waren in Sicherheit. Allerdings war ich im Hinblick auf mich selbst seltsamerweise kein bisschen zuversichtlicher.
Ich hatte keine weiteren Fragen mehr an die Sucherin. Wenn ich wegging, würde sie sterben. Würden sie warten, bis ich weit genug weg war, um den Schuss nicht mehr zu hören? Gab es überhaupt irgendeinen Platz in den Höhlen, der dafür weit genug entfernt war?
Ich blickte in ihr wütendes, angsterfülltes Gesicht und merkte, wie sehr ich sie hasste. Wie sehr ich mir wünschte, dieses Gesicht für den Rest meiner Leben nie wieder sehen zu müssen.
Ein Hass, der es mir unmöglich machte, sie sterben zu lassen.
»Ich weiß nicht, wie ich Sie retten kann«, flüsterte ich so leise, dass die Menschen es nicht hören konnten. Warum klang das in meinen Ohren wie eine Lüge? »Ich weiß nicht, wie …«
»Warum solltest du das auch wollen? Du bist eine von ihnen!« Aber ein kleiner Funken Hoffnung blitzte in ihren Augen auf. Jeb hatte Recht. All das Geschrei, die ganzen Drohungen … sie wollte furchtbar gern am Leben bleiben.
Ich nickte auf ihre Anschuldigung, leicht geistesabwesend, weil ich angestrengt und schnell nachdachte. »Aber ich bin immer noch ich selbst«, murmelte ich. »Ich will nicht … Ich will nicht …«
Wie konnte ich den Satz beenden? Ich wollte nicht … dass die Sucherin starb? Nein. Das stimmte nicht.
Ich wollte nicht … dass ich die Sucherin hasste? Dass ich sie so sehr hasste, dass ich ihren Tod wollte? Dass sie starb, während ich sie hasste? Fast so, als stürbe sie, weil ich sie hasste.
Wenn ich ihren Tod wirklich nicht wollte, würde mir dann nicht einfallen, wie ich sie retten konnte? War es mein Hass, der die Antwort vor mir verbarg? War ich verantwortlich dafür, wenn sie starb?
Bist du wahnsinnig? , protestierte Melanie.
Sie hatte meinen Freund umgebracht, hatte ihn in der Wüste erschossen und Lilys Herz gebrochen. Sie hatte meine Familie in Gefahr gebracht. Solange sie lebte, stellte sie eine Gefahr für sie dar. Für Ian, für Jamie, für Jared. Sie würde alles tun, was in ihrer Macht stand, um sie alle zu töten.
Das hört sich schon besser an. Dem konnte Melanie zustimmen.
Aber wenn sie stirbt, obwohl ich sie hätte retten können, wenn ich gewollt hätte … wer bin ich dann?
Du musst praktisch denken, Wanda. Dies ist ein Krieg. Auf welcher Seite stehst du?
Du kennst die Antwort.
Genau. Und das ist es, was du bist, Wanda.
Aber … Aber was, wenn ich beides könnte? Was, wenn ich ihr das Leben retten könnte, ohne dass irgendjemand hier in Gefahr geriete.
Eine Welle heftiger Übelkeit ergriff mich, als ich die Antwort erkannte, von der ich versucht hatte zu glauben, dass es sie nicht gab.
Die Wand zwischen Melanie und mir löste sich in nichts auf
Nein! , keuchte Mel. Und dann schrie sie. NEIN!
Die Antwort, von der ich gewusst haben musste, dass ich sie finden würde. Die Antwort, die meine seltsame Ahnung erklärte.
Denn ich konnte die Sucherin retten. Natürlich konnte ich das. Aber es würde mich das Leben kosten. Ein Handel. Was hatte Kyle gesagt? Leben gegen Leben.
Die Sucherin starrte mich an, ihre dunklen Augen voller Hass.
Menü
G eopfert
D ie Sucherin musterte mein Gesicht, während Mel und ich miteinander kämpften.
Nein, Wanda, nein!
Sei nicht albern, Mel. Gerade du müsstest doch das Potenzial dieser Entscheidung erkennen. Ist es nicht das, was du wolltest?
Aber sogar, wenn ich versuchte, das Positive im Blick zu behalten, konnte ich mich dem Schrecken dieser Entscheidung nicht entziehen. Dies war
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