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Seelen

Titel: Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenie Meyer
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das Geheimnis, für dessen Schutz ich eigentlich sterben sollte. Die Information, die ich unter allen Umständen für mich behalten hätte, egal welch grauenhafter Folter ich unterzogen worden wäre.
    Das hier war nicht die Art Folter, die ich erwartet hatte: eine persönliche Gewissenskrise, verstärkt und verkompliziert durch die Liebe für meine menschliche Familie. Und trotzdem sehr schmerzhaft.
    Ich konnte mich nicht mehr darauf berufen, eine Emigrantin zu sein, wenn ich das tat. Nein, ich wäre schlicht und ergreifend eine Verräterin.
    Nicht für sie, Wanda! Nicht für sie! , heulte Mel.
    Soll ich warten? Darauf warten, dass sie eine andere Seele schnappen. Eine unschuldige Seele, für die ich keinen Hass empfinde? Irgendwann muss ich die Entscheidung treffen.
    Nicht jetzt! Warte noch! Denk darüber nach!
    Mir drehte sich erneut der Magen um und ich musste mich vorbeugen und tief Luft holen. Es gelang mir, nicht zu würgen.
    »Wanda?«, rief Jeb besorgt.
    Ich wäre dazu in der Lage, Mel. Ich könnte es vor meinem Gewissen verantworten, sie sterben zu lassen, wenn sie eine dieser unschuldigen Seelen wäre. Dann könnte ich es zulassen, dass sie sie töten. Ich könnte darauf vertrauen, eine objektive Entscheidung zu treffen.
    Aber sie ist fürchterlich, Wanda! Wir hassen sie!
    Ganz genau. Und deshalb kann ich mich eben nicht auf mich selbst verlassen. Ich hätte die Lösung auch beinahe übersehen …
    »Wanda, ist alles in Ordnung?«
    Die Sucherin sah an mir vorbei in die Richtung, aus der Jebs Stimme kam.
    »Ja, alles okay, Jeb«, keuchte ich. Meine Stimme war rau und gepresst. Ich war überrascht, wie mitgenommen sie klang.
    Die dunklen Augen der Sucherin huschten unsicher zwischen uns hin und her. Dann wich sie vor mir zurück und drückte sich gegen die Wand. Ich erkannte diese Stellung - erinnerte mich genau, wie sie sich anfühlte.
    Eine Hand legte sich mir vorsichtig auf die Schulter und drehte mich herum.
    »Was ist los mit dir, Kleines?«, fragte Jeb.
    »Ich brauche noch einen Moment«, erklärte ich ihm atemlos. Ich sah ihm direkt in seine hellblauen Augen und sagte etwas, das ganz eindeutig keine Lüge war. »Ich habe noch eine letzte Frage. Aber ich brauche unbedingt eine Minute für mich allein. Könnt ihr … so lange warten?«
    »Klar, wir können noch ein bisschen warten. Gönn dir eine Verschnaufpause.«
    Ich nickte und entfernte mich, so schnell ich konnte, von dem Gefängnis. Meine Beine waren steif vor Angst, aber sobald ich mich in Bewegung gesetzt hatte, fand ich in meinen gewohnten Gang. Als ich an Aaron und Brandt vorbeikam, rannte ich beinahe.
    »Was ist passiert?«, hörte ich Aaron mit Befremden in der Stimme Brandt zuflüstern.
    Ich wusste nicht genau, wo ich mich verstecken sollte, während ich nachdachte. Meine Füße führten mich wie auf Autopilot durch die Gänge auf mein Schlafzimmer zu. Ich konnte bloß hoffen, dass es leer war.
    Es war dunkel, durch die Ritzen in der Decke drang kaum Sternenlicht. Ich sah Lily nicht, bis ich in der Dunkelheit über sie stolperte.
    Ich hätte ihr vom Weinen verschwollenes Gesicht beinahe nicht erkannt. Sie hatte sich mitten im Gang zusammengerollt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie schien nicht genau zu begreifen, wer ich war.
    »Warum?«, fragte sie mich.
    Ich sah sie wortlos an.
    »Das Leben und die Liebe gehen weiter. Aber warum tun sie das? Das sollten sie nicht. Nicht mehr. Wozu auch?«
    »Ich weiß es nicht, Lily. Ich weiß es auch nicht.«
    »Warum?«, fragte sie noch einmal, aber die Frage richtete sich nicht mehr an mich. Ihre glasigen Augen sahen durch mich hindurch.
    Ich trat vorsichtig über sie hinweg und eilte in mein Zimmer. Ich musste meine eigene Frage beantworten.
    Zu meiner großen Erleichterung war der Raum leer. Ich warf mich bäuchlings auf die Matratze, auf der Jamie und ich schliefen.
    Als ich Jeb erklärt hatte, dass ich noch eine letzte Frage stellen wollte, war das die Wahrheit gewesen. Aber es war keine Frage an die Sucherin. Es war eine Frage an mich.
    Die Frage war: Würde ich - nicht könnte ich - es tun?
    Ich konnte der Sucherin das Leben retten. Ich wusste, wie. Es würde keins der Leben hier in Gefahr bringen. Außer meinem eigenen. Das würde ich dafür eintauschen müssen.
    Nein. Melanie versuchte trotz ihrer Panik entschieden zu wirken.
    Bitte lass mich nachdenken.
    Nein.
    Das ist die Lösung, Mel. Es ist sowieso unvermeidlich. Das wird mir jetzt klar. Ich hätte es schon längst erkennen müssen. Es

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