Seelen
Gesicht in die Hände und schmollte. Ich konnte ihn nicht direkt ansehen, als ich aus dem Zimmer glitt. Ich sehnte mich ohnehin schon danach, mich neben ihn zu setzen, ihn zu umarmen und die ganze Angelegenheit zu vergessen.
Jared folgte mir, als ich den Weg zurück zum südlichen Tunnel einschlug.
»Warum hier lang?«, fragte er.
»Ich …« Er würde es merken, wenn ich versuchte zu lügen oder eine ausweichende Antwort zu geben. »Ich möchte niemandem begegnen. Vor allem nicht Jeb, Aaron oder Brandt.«
»Warum nicht?«
»Ich möchte ihnen keine Erklärungen geben müssen. Noch nicht.«
Er schwieg und versuchte zu verstehen, was das zu bedeuten hatte.
Ich wechselte das Thema. »Weißt du, wo Lily ist? Ich glaube, sie sollte besser nicht allein bleiben. Sie scheint …«
»Ian ist bei ihr.«
»Das ist gut. Er ist der Beste dafür.«
Ian würde Lily helfen - er war genau der, den sie jetzt brauchte. Wer würde Ian helfen, wenn …? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben.
»Was müssen wir denn so Eiliges besorgen?«, fragte Jared mich.
Ich holte tief Luft, bevor ich ihm antwortete. »Tiefkühlbehälter.«
Der südliche Tunnel war schwarz. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Seine Schritte neben mir wurden nicht langsamer und er sagte eine ganze Weile lang nichts. Als er wieder sprach, konnte ich hören, dass er sich auf den Beutezug konzentrierte - zielstrebig ließ er jede Neugier beiseite, bis die Mission zu seiner Zufriedenheit geplant war.
»Wo kriegen wir die her?«
»Leere Tiefkühlbehälter werden vor Heileinrichtungen aufbewahrt, bis sie gebraucht werden. Da mehr Seelen auf die Erde kommen als sie verlassen, gibt es immer reichlich davon. Niemand wird sie bewachen, niemand wird bemerken, wenn ein paar fehlen.«
»Bist du sicher? Wo hast du diese Information her?«
»Ich habe sie stapelweise in Chicago gesehen. Sogar die kleine Einrichtung in Tucson, bei der wir waren, hatte einen Vorrat davon; sie standen in Kisten verpackt vor dem Lieferanteneingang…«
»Wenn sie in Kisten verpackt waren, wie kannst du dann sicher sein …«
»Hast du unsere Vorliebe für Etiketten noch nicht bemerkt?«
»Ich zweifle nicht an dem, was du sagst«, sagte er. »Ich will nur sichergehen, dass du alles gut durchdacht hast.«
Ich hörte die Doppeldeutigkeit aus seinen Worten heraus.
»Habe ich.«
»Dann lass uns loslegen.«
Doc war nicht da - er musste schon bei Jeb sein, da wir ihm unterwegs nicht begegnet waren. Offenbar war er direkt nach mir losgegangen. Ich fragte mich, wie sie seine Neuigkeit wohl auffassen würden. Hoffentlich waren sie nicht so dumm, das vor der Sucherin zu besprechen. Würde sie das Gehirn ihres menschlichen Wirts zerstückeln, wenn sie erriet, was ich vorhatte? Würde sie annehmen, dass ich vollständig zur Verräterin geworden wäre? Dass ich den Menschen bedingungslos das geben würde, was sie brauchten?
Und würde ich das nicht auch tun? Wenn ich weg war, würde Doc dann noch sein Wort halten?
Ja, er würde es versuchen. Daran glaubte ich. Ich musste einfach daran glauben. Aber allein konnte er es nicht. Und wer würde ihm helfen?
Wir kletterten den engen, schwarzen Schacht hinauf, der auf der Südseite des felsigen Hügels an die Oberfläche kam, etwa auf halber Höhe des kleinen Berges. Im Osten wurde der Horizont grau und eine Spur von Rosa schob sich zwischen Himmel und Felsen.
Ich hatte die Augen fest auf meine Füße gerichtet, als ich hinabkletterte. Das war auch notwendig; es gab keinen Weg und die losen Felsen boten nur trügerischen Halt. Aber selbst wenn der Pfad gepflastert und gerade gewesen wäre, bezweifelte ich, dass ich in der Lage gewesen wäre, die Augen zu heben. Meine Schultern schienen ebenfalls in ihrer gekrümmten Haltung eingerastet zu sein.
Eine Verräterin. Kein Außenseiter, kein Wanderer. Einfach nur eine Verräterin. Ich legte die Leben meiner lieben Brüder und Schwestern in die wütenden und eigennützigen Hände meiner adoptierten Menschenfamilie.
Meine Menschen hatten allen Grund, die Seelen zu hassen. Dies war ein Krieg und ich gab ihnen eine Waffe. Eine Möglichkeit, ungestraft zu töten.
Darüber dachte ich nach, als wir in der anbrechenden Morgendämmerung durch die Wüste rannten - rannten, weil wir jetzt, wo die Sucher nach uns Ausschau hielten, nicht bei Tageslicht draußen sein sollten.
Wenn ich es von diesem Blickwinkel aus betrachtete - meinen Entschluss nicht als Opfer interpretierte, sondern als
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