Seelen
die Wut, wie ich es beinahe erwarte, kein angeborenes Unrechtsbewusstsein, und das macht mich nur noch wütender.
»Wie konntest du nur?«, kreische ich, als ich erneut aushole, ihn aber verfehle, weil er jetzt auf der Hut ist. »Was ist los mit dir? Wie konntest du sie umbringen?«
Ich muss an die Seelen denken, die ich gesehen habe, die Sucherin und die Heilerin, und ich kann sie nur durch Wandas Perspektive sehen. Schöne, zerbrechliche, flaumige Silberbänder. Wanda muss genauso schön gewesen sein. Und dann fallen mir die verstümmelten silbernen Körper ein ...
Irgendjemand - Doc - versucht meine Arme festzuhalten, als ich mit geballten Fäusten auf Jared losgehe. Ich stoße meinen Ellbogen nach hinten. Als ich Doc treffe, spüre ich den Aufprall und höre ihn nach Luft schnappen. Er lässt mich los.
»Ihr habt sie umgebracht!«, brülle ich sie beide an. Und dann wiederhole ich Wandas Worte. »Ihr seid Monster! Monster!«
»Mel!«, brüllt Jared zurück. »Hör zu!«
Ich stürze mich auf ihn und er tritt schnell zur Seite, mit ausgestreckten Händen, als versuchte er mich zu bändigen. Eine winzige Sekunde lang erwäge ich, mir das Messer zu holen, und einem Teil von mir wird bewusst, dass ich die Kontrolle verloren habe, aber ich will nicht vernünftig sein. Nicht, nachdem Wanda gestorben ist - für mich gestorben - und ich immer noch atme.
»Mel, bitte ...«
»Wie konntest du das tun? Wie? «
Noch ein Schlag, der danebengeht. Jared ist schnell.
Plötzlich erhebt sich eine riesige Gestalt neben mir. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass das Feldbett in dieser dunklen Ecke belegt ist. Jodis ausdrucksloses Gesicht, eingerahmt von dunklen Locken, die Augen geschlossen, ist in die Reichweite meines Angriffs geraten. Und Kyle, der mit einem Arm immer noch Sunnys Tiefkühlbehälter umschlungen hält, tritt zwischen Jodi und mich. Um den Körper des Mädchens, das er liebt, zu schützen und die tiefgekühlte Seele, der er so überraschend zugetan ist. Er kommt nicht auf mich zu, wie ich es erwartet habe.
Ich kann mich immer noch an das Gefühl seiner großen Hände erinnern, die mein Gesicht unter Wasser drückten.
Sogar Kyle ist lernfähig. Wie kann Jared dümmer, störrischer, grausamer sein als Kyle?
Ich weiche automatisch einen Schritt vor Kyle zurück und Jared nutzt meine Unaufmerksamkeit. Er erwischt wieder mein Handgelenk und dreht mir den Arm auf den Rücken. Ich merke, dass er vorsichtig ist, dass er mir nicht wehtun will. Es ist nicht wie in der ersten Nacht, als wir uns getroffen haben und beide dachten, der andere sei ein Außerirdischer. Als wir bereit waren uns gegenseitig umzubringen. Aber sein Griff ruft mir diese erste Nacht wieder ins Gedächtnis. Und ich will ihm eigentlich nicht mehr wehtun, aber ich bin so wütend, dass ich nicht sicher bin, ob ich anders kann.
Ich kann Wandas Tod nicht als Preis für das, was ich will, akzeptieren. Das werde ich nicht.
»Melanie«, fährt Kyle mich mit seiner tiefen Stimme an. Er klingt ärgerlich. Ich bin so erschrocken, ihn meinen Namen sagen zu hören, dass ich ihn nicht unterbreche.
»Beruhig dich!«, befiehlt er. »Wanda geht's gut. Sie ist da drüben.«
Ich starre ihn an und merke, wie mir der Mund aufklappt.
Er zeigt auf Docs Schreibtisch, auf dem drei Tiefkühlbehälter stehen, deren Lampen alle mattrot leuchten. Zwei stehen genau in der Mitte, so wie in meiner Erinnerung, aber da ist noch einer, etwas abgerückt in der äußeren linken Ecke. Ich starre die drei Behälter an und dann den, den Kyle im Arm hält. Vier. Zwei Heiler, Sunny und noch jemand.
Wanda.
Ich breche in Tränen aus.
Die Außerirdische, die wie eine Schwester für mich geworden ist, lebt. Sie ist hier, und jetzt, wo ich selbst wieder die Kontrolle über meine Hände habe, kann ich dafür sorgen, dass sie nie verschwindet. Dass sie uns alle überlebt.
Jared lässt mein Handgelenk los und will mich umarmen, aber ich schüttele ihn ab und stolpere von ihm weg, an Doc vorbei, auf Wanda zu. Ich nehme ihren Tiefkühlbehälter vorsichtig in die Arme und drücke sie an mich. Sie weiß nicht, dass ich hier bin, aber irgendwann - irgendwann bald - werde ich ihr von diesem Augenblick erzählen. Ich werde ihr erzählen, dass ich meinen Körper nicht zurückwollte, bis ich wusste, dass ich ihn dazu einsetzen konnte, sie zu beschützen.
»Mel«, sagt Jared hinter mir. Er zögert jetzt; seine Finger drücken nur sanft meinen Arm.
Ich drehe mich nicht um.
»Gib mir eine
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