Seelen
weitergehen kann.
»Was ist?«, fragt Jared, der spürt, wie ich mich versteife, als ich darüber nachdenke, was ich zu tun habe. »Ich will verstehen, was du durchmachst. Sprich mit mir.«
Er klingt so ernst und entschlossen - entschlossen den Therapeuten zu spielen, wenn es das ist, was ich brauche.
»Es ist nichts besonders Kompliziertes«, sage ich und seufze. »Ian.«
Seine Arme erstarren einen Moment und dann zwingt er sich zu entspannen. Ich sehe Zweifel in seiner Miene aufblitzen, die bisher noch nie dort waren.
»Er muss es erfahren. Je länger ich damit warte, es ihm zu sagen ...«
»Es ist noch früh. Vielleicht ist er noch gar nicht auf. Komm, wir gehen zu ihm.« Unverzügliches Handeln, Jareds Spezialität.
»Ich muss erst allein mit ihm reden. Ich muss es ihm erklären.«
Jared überlegt einen Moment.
»Das gefällt mir nicht«, sagt er schließlich. Die Worte kommen langsamer und überlegter als normalerweise. »Er wird wütend sein. Sehr wütend.«
»Ich weiß.«
»Ich komme mit.«
»Nein. Das würde ihn nur noch mehr verletzen.« Dessen bin ich mir sicher. Genauso sicher bin ich, dass ich von Ian keine körperliche Gewalt zu befürchten habe. So gut kenne ich ihn. »Und geh mir nicht nach, so wie du Wanda gefolgt bist. Es ist ganz einfach. Er muss es von mir erfahren.«
Jared nickt kurz und zurückhaltend. Da sind die Zweifel wieder. Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas sagen kann, um sie zu zerstreuen. Worte sind nicht genug, vor allem nicht nach diesem langen Jahr, in dem die Worte einer anderen aus meinem Mund kamen. Irgendwann wird Jared sicher sein, dass sich zwischen uns nichts verändert hat, nur weil Wanda in meinem Körper steckte, als sie sich in Ian verliebt hat. Zeit und Taten - das sind die Dinge, die ihn überzeugen werden. Und mich.
Ich nehme sein Gesicht zwischen meine Hände und küsse ihn einmal fest auf den Mund und dann noch mal ganz sanft - berühre mit den Lippen nur vorsichtig seinen Bluterguss.
Das Gefühl der Gefängnisstrafe ist allerdings zu stark, um mich hier noch länger aufzuhalten. Ich muss das erledigen, bevor ich mich wirklich darauf einlassen kann, Jared hier bei mir zu spüren. Solange das über mir schwebt, kann ich nicht glücklich sein. Die Freude ist bis zu einem Grad beeinträchtigt, wo sie sich in Schmerz, verwandelt.
Jared drückt meinen Arm, als ich mich abwende. Ich gehe an Doc vorbei, der auf dem letzten Feldbett leise schnarcht. Dann trete ich in den langen Südtunnel hinaus und bin augenblicklich davon überwältigt, wie unwirklich sich das Ganze anfühlt.
Ich hatte nicht damit gerechnet, das noch einmal zu tun - durch die Dunkelheit zu gehen. Das letzte Mal fühlte sich so endgültig an. Vom Kopf her musste mir bewusst gewesen sein, dass es für mich genau darum ging, aufzuwachen, vom Feldbett aufzustehen und zurück in die Höhlen zu gehen. Aber jetzt fühlt es sich unmöglich, seltsam und nicht richtig an.
Der Tunnel ist wieder lang und ein wenig furchteinflößend, so wie er Wanda anfangs vorgekommen war.
Ich gehe schnell und mein Verstand rast voraus zu dem, was ich Ian sagen werde. Ob er noch schläft? Soll ich anklopfen? Ich kann mich nicht erinnern, ob Wanda die Tür zurückgestellt hat, als sie gegangen ist.
Ich habe sein Bild vor Augen, wie er mit ausgestreckten Gliedmaßen auf der Matratze liegt, so wie er immer schläft, die schwarzen Haare in ungebändigten Büscheln abstehend, seine blassen Augenlider geschlossen. Es ist leichter, ihn mir mit geschlossenen Augen vorzustellen. Ich habe Angst, seine leuchtend blauen Augen zu sehen, weil ich weiß, wie der Schmerz in diesen Augen aussehen wird. Der Schmerz und die Wut und all die Vorwürfe, die ich auf jeden Fall verdiene.
Ich gehe schneller, laufe fast. Ich will bei ihm sein, bevor er aufwacht. Ich möchte ein paar Sekunden lang sein Gesicht betrachten können, bevor er die Augen öffnet und mich zu hassen beginnt. Ich laufe jetzt richtig, als ich um die Ecke auf den hellen Platz einbiege. Es wird mein erstes Mal in diesem Raum sein und gleichzeitig mein tausendstes. Darüber denke ich gerade nach, als ich direkt in Ian hineinrenne.
Er greift automatisch nach meinen Armen, damit ich nicht nach hinten umkippe. Er sieht auf mich herab und ein Lächeln beginnt sich auf seiner Miene auszubreiten.
Der Ausdruck erstarrt auf seinem Gesicht. Seine Hände lassen meine Arme so plötzlich los, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen.
Obwohl ich genauso aussehen muss
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