Seelen
es uns etwas ausgemacht hätte, uns zu verschlucken, aber wir wollten nicht, dass uns das Wasser wieder weggenommen wurde.
Wir tranken, bis sich unser Magen ausdehnte und wehtat. Das Wasser versiegte tröpfelnd und wir stießen einen heiseren Protestschrei aus. Eine weitere Öffnung wurde an unsere Lippen gedrückt und wir schluckten gierig, bis auch hier nichts mehr kam.
Mit jedem weiteren Schluck würde unser Magen bersten, trotzdem blinzelten wir und versuchten zu erkennen, ob es noch mehr gab. Es war zu dunkel; wir konnten nicht einen einzigen Stern ausmachen. Und dann blinzelten wir erneut und stellten fest, dass die Dunkelheit viel näher war als der Himmel. Eine Silhouette beugte sich über uns, schwärzer als die Nacht.
Das leise Geräusch von Stoff, das an Stoff rieb, war zu hören und das Knirschen von Sand unter einem Absatz. Die Silhouette verschwand und wir hörten ein durchdringendes Ritsch - das Geräusch eines Reißverschlusses, das in der absoluten nächtlichen Stille ohrenbetäubend war.
Wie eine Klinge stach uns Licht in die Augen. Wir stöhnten auf, weil es so wehtat, und unsere Hand beeilte sich, unsere geschlossenen Augen abzudecken. Sogar hinter unseren Lidern war das Licht zu hell. Es verschwand und wir spürten, wie der Atem des nächsten Seufzers unser Gesicht traf.
Vorsichtig öffneten wir die Augen, blinder als vorher. Wen auch immer wir vor uns hatten, er saß unbeweglich da und sagte kein Wort. Wir begannen uns der angespannten Situation bewusst zu werden, aber es fühlte sich so an, als spielte sich das alles weit weg , außerhalb unseres Körpers, ab. Es war schwierig, sich um etwas anderes zu kümmern als das Wasser in unserem Bauch und die Überlegung, wo wir noch mehr herbekommen könnten. Wir versuchten uns zu konzentrieren, zu erkennen, was uns gerettet hatte.
Das Erste, was wir nach minutenlangem Blinzeln und Zwinkern ausmachen konnten, war die üppige weiße Masse, die aus dem dunklen Gesicht floss, eine Million blasser Splitter in der Nacht. Als wir begriffen, dass es sich dabei um einen Bart handelte - wie der Weihnachtsmann, fiel uns plötzlich ein -, wurden die anderen Teile des Gesichts plötzlich von unserer Erinnerung ergänzt. Alles fand seinen Platz: die große Nase mit der gespaltenen Nasenspitze, die breiten Wangenknochen, die dichten, weißen Brauen, die Augen, die tief in die zerknitterte Haut eingesunken waren. Obwohl wir nur Andeutungen seiner Züge erkennen konnten, wussten wir, was das Licht zum Vorschein bringen würde.
»Onkel Jeb«, krächzten wir überrascht. »Du hast uns gefunden.«
Onkel Jeb, der neben uns hockte, kippte nach hinten auf seine Absätze, als wir seinen Namen aussprachen.
»Na so was«, sagte er und seine raue Stimme brachte eine Million Erinnerungen zurück. »Na so was, das ist ja eine schöne Bescherung.«
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B estimmt
» S ind sie hier?« Wir spuckten die Worte aus - sie schossen aus uns heraus wie vorher das Wasser aus unseren Lungen. Außer Wasser war diese Frage alles, was zählte. »Haben sie es geschafft?«
Es war unmöglich, in der Dunkelheit Onkel Jebs Gesichtsausdruck zu deuten. »Wer?«, fragte er.
»Jamie, Jared!« Unser Flüstern brannte wie ein Schrei. »Jared war mit Jamie unterwegs. Unserem Bruder! Sind sie hier? Sind sie hergekommen? Hast du sie auch gefunden?«
Es gab kaum eine Pause.
»Nein.« Seine Antwort kam kraftvoll und mitleidslos, ohne jegliches Gefühl.
»Nein«, flüsterten wir. Wir sprachen ihm nicht nach, wir protestierten dagegen, unser Leben zurückzubekommen. Wozu? Wir schlossen die Augen wieder und lauschten dem Schmerz in unserem Körper. Er übertönte den Schmerz in unserem Kopf.
»Hör mal«, sagte Onkel Jeb nach einer Weile. »Ich, äh, muss mich da um was kümmern. Ruh dich ein bisschen aus, ich bin gleich zurück.«
Wir nahmen den Inhalt seiner Worte nicht wahr, nur das Geräusch. Unsere Augen blieben geschlossen. Seine Schritte knirschten leise davon. Wir konnten nicht erkennen, in welche Richtung er ging. Es war uns auch egal.
Sie waren weg. Es gab keine Möglichkeit mehr, sie zu finden, keine Hoffnung. Jared und Jamie waren verschwunden - etwas, das sie gut konnten - und wir würden sie nie wiedersehen.
Das Wasser und die kühlere Nachtluft machten uns wach, was wir gar nicht wollten. Wir drehten uns um und vergruben unser Gesicht wieder im Sand. Wir waren so müde, jenseits aller Erschöpfung in einem versunkenen, schmerzhafteren Zustand.
Wir würden sicher schlafen
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