Seelen
du da?«
»Geh von dem Mädchen weg, Kyle.«
Kyle kehrte uns den Rücken zu, als er sich wütend zu Jeb umdrehte. »Das ist kein Mädchen , Jeb!«
Jeb zuckte mit den Schultern, und das Gewehr blieb weiterhin auf Kyle gerichtet. »Es gibt einiges zu besprechen.«
»Der Doktor kann es vielleicht nutzen, um etwas Neues herauszufinden«, schlug eine weibliche Stimme barsch vor.
Bei diesen Worten zuckte ich zusammen, denn sie bestätigten meine schlimmsten Ängste. Als Jeb mich als seine Nichte bezeichnet hatte, war törichterweise ein Hoffnungsschimmer in mir aufgeflammt - vielleicht würden sie doch Mitleid mit mir haben. Ich war dumm gewesen, das zu glauben, wenn auch nur eine Sekunde lang. Der Tod war das einzige Mitleid, das ich von diesen Wesen erwarten konnte.
Ich sah die Frau an und war überrascht, als ich feststellte, dass sie so alt war wie Jeb oder sogar noch älter. Ihre Haare waren eher dunkelgrau als weiß, weshalb ich vorher ihr wahres Alter nicht bemerkt hatte. Ihr Gesicht war von Falten bedeckt, die die Wut in tiefe Furchen verwandelt hatte. Aber die Züge hinter den Furchen hatten etwas Vertrautes.
Melanie zog die Verbindung zwischen diesem Gesicht und einem anderen, glatteren Gesicht aus ihrer Erinnerung.
»Tante Maggie? Du hier? Wie …? Ist Sharon …« Die Wörter kamen alle von Melanie, aber sie sprudelten aus meinem Mund und ich konnte sie nicht zurückhalten. Unsere lange Zweisamkeit in der Wüste hatte sie stärker gemacht - oder mich schwächer. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich mich darauf konzentrierte, von welcher Seite der tödliche Schlag kommen würde. Ich bereitete mich auf meine Ermordung vor und sie veranstaltete ein Familientreffen.
Melanie brachte ihren überraschten Ausruf nur zur Hälfte heraus. Die gealterte Frau namens Maggie stürzte in einem Tempo nach vorn, das ihr zerbrechliches Äußeres Lügen strafte. Die Hand mit dem schwarzen Brecheisen hielt sie weiterhin gesenkt. Das war die Hand, die ich im Auge behalten hatte, deshalb sah ich nicht, wie ihre leere Hand ausholte und mir fest ins Gesicht schlug.
Mein Kopf wurde in den Nacken geschleudert und dann wieder nach vorn. Sie schlug mich noch einmal.
»Du wirst uns nicht an der Nase herumführen, du Parasit! Wir wissen, wie ihr arbeitet. Wir wissen, wie gut ihr uns imitieren könnt!«
Ich schmeckte Blut in meinem Mund.
Mach so was nie wieder, fauchte ich Melanie an. Ich habe dir doch gesagt, was dann passiert.
Melanie war zu geschockt, um zu antworten.
»Na, na, Maggie«, begann Jeb in besänftigendem Tonfall.
»Komm mir nicht mit ›Na, na, Maggie‹, du alter Narr! Es hat wahrscheinlich einen ganzen Trupp von denen hergeführt.« Ich rührte mich nicht. Sie trat zurück, wobei sie mich taxierte, als sei ich eine zusammengerollte Schlange. Neben ihrem Bruder blieb sie stehen.
»Ich sehe niemanden«, erwiderte Jeb. »Hey!«, brüllte er und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich war nicht die Einzige. Jeb wedelte mit den Armen über seinem Kopf herum, das Gewehr immer noch fest in der rechten Hand. »Hier sind wir!«
»Sei still«, knurrte Maggie und stieß ihn vor die Brust. Obwohl ich guten Grund zu der Annahme hatte, dass sie ziemlich stark war, bewegte sich Jeb keinen Millimeter.
»Sie ist allein, Mag. Sie war halbtot, als ich sie gefunden habe - und auch jetzt ist sie nicht gerade in der allerbesten Verfassung. Die Tausendfüßler opfern ihre Leute nicht auf diese Weise. Sie wären ihr viel früher zu Hilfe gekommen als ich. Was auch immer sie ist, sie ist allein.«
Ich sah das Bild des langen, vielfüßigen Insekts vor mir, ohne zu wissen, was damit gemeint war.
Er spricht von dir, übersetzte Melanie. Sie platzierte das Bild des hässlichen Tiers neben meine Erinnerung einer hellsilbrigen Seele. Ich konnte keine Ähnlichkeit feststellen.
Woher er wohl weiß, wie du aussiehst? , wunderte sich Melanie geistesabwesend. Meine Erinnerungen an die wahre Gestalt einer Seele waren anfangs neu für sie gewesen.
Ich hatte keine Zeit, mich mit ihr zu wundern. Jeb kam auf mich zu und die anderen folgten dichtauf. Kyles Hand schwebte über Jebs Schulter, bereit, ihn zurückzuhalten oder wegzuschubsen, da war ich mir nicht ganz sicher.
Jeb nahm sein Gewehr in die linke Hand und streckte seine rechte nach mir aus. Ich beäugte sie misstrauisch und wartete darauf, dass er mich schlagen würde.
»Los, komm«, sagte er sanft drängend. »Wenn ich dich so weit tragen könnte, hätte ich dich schon letzte
Weitere Kostenlose Bücher