Seelen
draußen war, hörte aber noch nicht einmal einen Atemzug, der diese Vermutung bestätigen konnte.
Es war ein furchtbar langer Tag - furchtbar beengt und furchtbar eintönig. Ich probierte jede nur erdenkliche Stellung aus, aber es gelang mir nie, mich komplett auszustrecken. Mir tat ständig der Rücken weh.
Melanie und ich dachten viel über Jamie nach. Wir fürchteten, ihm durch unser Herkommen geschadet zu haben, ihn zu verletzen. Was zählte verglichen damit schon ein gehaltenes Versprechen?
Zeit hatte jede Bedeutung verloren. Ob die Sonne gerade unterging oder der Morgen dämmerte - hier unter der Erde bekam ich davon nicht das Geringste mit. Melanie und mir ging der Gesprächsstoff aus. Teilnahmslos zappten wir durch unsere gemeinsamen Erinnerungen wie durch Fernsehprogramme, ohne uns irgendetwas genauer anzusehen. Ich döste ein bisschen, schlief aber nicht richtig ein, weil es so unbequem war.
Als Jeb endlich zurückkam, hätte ich sein ledriges Gesicht küssen können. Er steckte den Kopf durch den Eingang und grinste über beide Ohren.
»Zeit für den nächsten Gang?«, fragte er mich. Ich nickte eifrig.
»Ich mach das schon«, knurrte Jared. »Gib mir das Gewehr.«
Ich zögerte, verrenkt im Durchschlupf zu meiner Höhle kauernd, bis Jeb mir zunickte.
»Auf geht’s«, sagte er.
Steif und schwankend kletterte ich hinaus. Ich nahm die Hand, die Jeb mir entgegenstreckte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Jared machte ein angewidertes Geräusch und sah weg. Er hielt das Gewehr so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Der Anblick der Waffe in seiner Hand gefiel mir nicht. Er beunruhigte mich stärker als bei Jeb.
Jared machte keine Zugeständnisse, so wie Jeb. Ohne auf mich zu warten, stapfte er los in den dunklen Tunnel hinein.
Es war schwierig, ihm zu folgen. Er machte kaum Geräusche und er führte mich nicht, deshalb hielt ich beim Gehen eine Hand vor meinem Gesicht ausgestreckt und die andere legte ich an die Wand, damit ich nicht gegen den Fels lief. Ich stürzte auf dem unebenen Boden zweimal. Er half mir zwar nicht beim Aufstehen, wartete aber, bis er hören konnte, dass ich wieder auf die Füße gekommen war. Als wir durch einen geraderen Abschnitt des Gangs liefen, kam ich ihm einmal zu nah und berührte mit meiner suchend ausgestreckten Hand seinen Rücken, befühlte die Form seiner Schultern, bis ich bemerkte, dass es keine Wand war, an die ich da stieß. Er machte einen Satz nach vorn und entzog sich meinen Fingern mit einem wütenden Zischen.
»Entschuldigung«, murmelte ich und spürte, wie meine Wangen in der Dunkelheit zu glühen begannen.
Er antwortete nicht, ging jedoch schneller, so dass es noch schwieriger war, ihm zu folgen.
Ich war verwirrt, als schließlich ein schwacher Lichtschein vor uns auftauchte. Waren wir eine andere Strecke gegangen? Dies war nicht das weiße Strahlen aus der großen Höhle. Das Licht war gedämpft, blass und silbrig. Aber der schmale Spalt, durch den wir mussten, schien derselbe zu sein … Erst als ich in dem riesigen, hallenden Raum stand, wurde mir klar, woher der Unterschied rührte.
Es war Nacht und das Licht, das matt von oben hereinschien, ähnelte eher dem Licht des Mondes als dem der Sonne.
Jetzt, wo das Licht nicht so blendete, nutzte ich die Gelegenheit, mir die Decke anzusehen und zu versuchen, ihr Geheimnis zu entschlüsseln. Es sah aus, als beleuchteten hundert kleine Monde von hoch oben, ganz weit über mir, mit ihrem schwachen Licht den dunklen Boden hier unten. Die kleinen Monde waren in unregelmäßigen Grüppchen über die Decke verstreut, manche weiter entfernt als andere. Ich schüttelte den Kopf. Auch wenn ich das Licht jetzt direkt ansehen konnte, verstand ich immer noch nicht, woher es kam.
»Komm schon«, rief Jared ärgerlich, der mir schon mehrere Schritte voraus war.
Ich zuckte zusammen und ging schnell weiter. Es tat mir leid, dass ich mich hatte ablenken lassen. Ich konnte sehen, wie sehr es ihn aufbrachte, mit mir reden zu müssen.
Diesmal erwartete ich nicht die Hilfe einer Taschenlampe, als wir den Raum mit den Flüssen erreichten - und bekam sie auch nicht. Der Raum war ebenfalls schwach erleuchtet, wie die große Höhle, aber nur von gut zwanzig Miniaturmonden. Jared starrte die Decke an, während ich zögernd den Raum mit dem pechschwarzen Becken betrat. Wahrscheinlich würde er es als glückliche Fügung des Schicksals ansehen, wenn ich in den tosenden unterirdischen Fluss
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