Seelenangst
müde. »So international muss es gar nicht werden. Es mangelt uns auch in Berlin nicht an Morden, an Kommissaren allerdings schon.«
»Übrigens, ich habe Ihnen die Geschichte mitgebracht, von der ich Ihnen in der Cafeteria erzählt hatte«, sagte Freese und reichte ihr einen Umschlag. »Es passt zu dem, was Sie mir erzählt haben. Von den Toten. Wenn Sie mal ein bisschen Ruhe haben, lesen Sie’s. Es zeigt …«, er suchte nach den richtigen Worten, »es zeigt, dass es auch im Tod Hoffnung gibt. Und es ist sehr gut geschrieben.«
»Danke«, sagte Clara und steckte das Papier in die Tasche. Sie wollte die Geschichte tatsächlich erst lesen, wenn sie ein wenig Ruhe hatte, war aber neugierig, was es wohl sein würde. »Die hoffnungsvolle Komponente im Tod fehlt mir allerdings noch«, sagte sie. »Die Leute, mit denen ich im Zuge meiner Ermittlungen zu tun habe, sind entweder geisteskranke Täter oder tote Opfer. Und meistens sterben die Falschen.«
»Wenn der ganze Stress vorbei ist«, Freese nestelte an seiner Brille, »können wir ja mal ein Glas Wein oder ein Bierchen trinken. Natürlich nur, wenn Sie möchten.«
»Warum nicht«, sagte Clara. Ihr fiel tatsächlich kein Grund ein, Nein zu sagen. »Wenn Sie das möglichst bald haben wollen, sollten Sie mir helfen, dass ich Rückendeckung von Bellmann bekomme. Und sorgen Sie dafür, dass nichts über den Fall in der Presse steht. Schlagzeilen wie ›besessener Ritualmörder zieht blutige Schneise durch Europa‹ und ähnlich reißerischen Kram können wir jetzt am wenigsten gebrauchen.« Sie lächelte und schulterte ihre Aktentasche. »Jetzt muss ich aber erst mal schlafen, sonst bin ich bald genauso tot wie die Leute, die ich immer zu retten versuche.«
*
Die Woche war die Hölle gewesen.
Umso mehr freute Clara sich auf ihr Bett und eine halbwegs ruhige Nacht mit erholsamem Schlaf, den sie dringend brauchte, obwohl sie angesichts der Erlebnisse in den letzten Tagen ihre Zweifel hatte, was die Aussicht auf erholsamen Schlaf anging. Eher war damit zu rechnen, dass die Schrecken sie bis in ihre Träume hinein verfolgten.
Mit schnellen Schritten stieg sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf.
Eine ruhige Nacht. Das war alles, was sie sich gewünscht hatte.
Doch als sie sah, dass die Tür zu ihrer Wohnung nur angelehnt war, wusste sie, dass es nicht dazu kommen würde.
3
Langsam näherte sie sich der Tür. Aus der Wohnung schlug ihr ein fürchterlicher Gestank entgegen. Ein Gestank, den sie kannte und der ihr den Magen umdrehte. Doch es war nicht der Gestank, der ihr Angst machte, denn der war nichts Neues für sie. Es war die Tatsache, dass dieser Gestank nach Verwesung aus ihrer eigenen Wohnung kam.
Gleichzeitig hörte sie das Summen von Fliegenschwärmen.
Mit zitternder Hand nahm sie ihr Handy und tippte eine SMS an Winterfeld mit der Bitte, sofort ein paar Männer vorbeizuschicken. Dann zog sie ihre Waffe. Zögerte. Überlegte.
Jemand war in ihrer Wohnung gewesen und hatte dort irgendetwas getan. Nur was? Außer ihr wohnte dort niemand. Ihr Beziehungsleben war in letzter Zeit ein Flickenteppich aus kurzzeitigen Affären und Einsamkeit gewesen, sicher kein Zustand, der für die Ewigkeit anhalten sollte. Aber wenn man niemanden hatte, konnte einem auch keiner weggenommen werden. Nicht-Besitz konnte auch eine Form von Reichtum sein, die einen unabhängig machte und damit weniger angreifbar.
Bevor sie dich töten, nehmen sie dir, was du liebst. Was das anging, hatte Clara kaum etwas zu befürchten.
Wenigstens konnte der penetrant süßliche Gestank nicht von einem Menschen stammen, der mit ihr in der Wohnung lebte und der jetzt tot war.
Aber was war es dann?
Clara überlegte weiter. Sollte sie auf Winterfeld und die Kripo warten? Denn es konnte eigentlich nur eine Erklärung geben. Genau genommen hatte Mandy sie sogar vorgewarnt. Irgendein Bastard, irgendeiner von den perversen Vasallen des Drachen war in ihre Wohnung eingedrungen, hatte ihr Allerheiligstes betreten und es entweiht, indem er einen Tierkadaver abgelegt hatte, vermutlich mitsamt einer obskuren Warnung.
Oder war der Bursche noch da?
Clara hob die Waffe. Na, diese Geisteskranken sollten sie kennenlernen. Sie würde der nächsten bleichen Fratze, die vor ihr auftauchte, eine Kugel zwischen die Augen jagen.
Langsam schob sie sich in ihre Wohnung.
Schlich durch den Flur.
Niemand da. Die Türen zu Schlafzimmer und Küche standen offen.
Und der Gestank wurde immer schlimmer. Er kam aus dem
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