Seelenangst
Neuroprothetik und Neurobionik, eine Menge Fortschritte gegeben. Der Abstoßungsprozess lässt sich durch Medikamente aufhalten. Gleichzeitig lässt sich die Operationszeit, während der die Organe ausgetauscht werden, deutlich verringern.«
»Und da kommen vermutlich die Stammzellen ins Spiel, mit denen Venturas’ Unternehmen sich beschäftigt hat.« Winterfeld schaute alle der Reihe nach an. »Und wie hängt das mit der Kopfverpflanzung zusammen?«
»Ich bin zwar kein Experte, aber Köpfe zu verpflanzen dürfte nur funktionieren, wenn man die Möglichkeit hat, das Rückenmark zu verbinden. Und dazu braucht man Stammzellen«, sagte MacDeath. »Mit Ratten hat das schon funktioniert, da es weniger komplex ist. Im Labor geht es sowieso. Und bei Menschen hat es bisher noch keine dahingehenden Versuche gegeben. Ich hoffe es jedenfalls nicht. Für mich ist das eine Horrorvorstellung. Oder wurde so was schon gemacht?« Er schaute Hermann an.
Der nickte. »Es ist zwar nicht zu fassen, aber es sieht ganz so aus. Hier ist neben der Stammzellenproblematik auch von der Reperfusionszeit die Rede. Das ist die kritische Zeitspanne, in der die unterschiedlichen Organe ohne Sauerstoff auskommen können. Idealerweise kühlt man den Körper auf ungefähr 32 Grad herunter oder die einzelnen Organe auf etwa zwanzig Grad. Nieren können dabei 36 Stunden ohne Sauerstoff auskommen, Herz und Lunge vier bis sechs Stunden.« Er schaute MacDeath an. »Stimmt das?«
»Stimmt.«
»Und das Gehirn?«, fragte Winterfeld.
»Fünf Minuten ohne Sauerstoff, dann ist Schluss. Und da liegt der Hase im Pfeffer.« Hermann blätterte und klickte weiter. »Um dieses Problem zu lösen, haben sie offenbar sehr viel Zeit und Geld investiert. Außerdem gibt es da offenbar eine neue Technik aus Japan. Das Gehirn hat fünf Minuten, ehe es zu irreversiblen Schäden wegen des Sauerstoffmangels kommt. Das Problem ist, dass es derzeit aber noch viel länger als fünf Minuten dauert, die Hirnarterien zusammenzunähen.« Er überflog den Text. »Und kein Milliardär, und sei er noch so reich, zahlt zehn Millionen, damit er einen zwar trainierten Körper bekommt, aber als lobotomisierter Sabberlappen aufwacht.«
»Welcher Milliardär?«, fragte Winterfeld.
»Der Krösus, der den neuen Körper kriegt«, sagte Hermann.
»Das heißt, Venturas hat tatsächlich Köpfe verpflanzt?«, fragte Winterfeld fassungslos. »Oder Körper?«
»Wie man’s nimmt.« Hermann zuckte die Schultern. »Eigentlich geht es um die Körper, die einen neuen Besitzer bekommen. Die Kunden, die den jungen Körper wollen, behalten ihren Kopf.«
»Du meine Güte, das ist ja widerlich.« Winterfeld schien gar nichts mehr zu verstehen. »Und warum?«
»Warum nicht?«, fragte Hermann zurück. »Stell dir vor, du bist ein reicher alter Knacker mit ’ner Menge Kohle, der geistig noch fit ist, aber dein Körper ist fett und träge und voller Alkohol und Gifte. Und Krebs, Rheuma und Arthritis lassen auch nicht mehr lange auf sich warten.«
Clara dachte nach. Hatte sie nicht viele Leute darüber reden hören, sie hätten gerne einen neuen oder jüngeren Körper? Und wie es aussah, waren manche Menschen bereit, sich über alle moralischen Bedenken hinwegzusetzen und außerdem das Risiko eines Fehlschlags einzugehen, Hauptsache, ihr Leben wurde verlängert. Schließlich gab es Menschen, die ihren Körper oder ihre Köpfe hatten einfrieren lassen in der Hoffnung, dass die Medizin eines Tages imstande wäre, sämtliche Krankheiten zu heilen und gewissermaßen das ewige Leben zu garantieren.
»Als alter Sack kann man sich einen Porsche kaufen, um sich jünger zu fühlen, oder sich eine junge Frau angeln«, sagte Hermann, »und man kann mit Schönheitsoperationen und dergleichen schon einiges bewerkstelligen, aber …«
Clara beendete den Satz. »Aber nicht alles.«
»Genau. Die ewige Suche nach dem Jungbrunnen. Dabei gehen manche Leute buchstäblich über Leichen.«
»Und wo kommen die Körper her?«, fragte Winterfeld, der sich wieder ein Stück von der Heizung entfernt hatte.
»Zum größten Teil aus dem Mittleren Osten«, sagte Hermann. »Sie haben dort Camps, wo sie junge Männer angeblich für Olympia ausbilden. Sie trainieren täglich, sehen gut aus und sind kerngesund.«
»Und da sie Muslime sind, ist wohl auch die Leber in Ordnung«, warf Winterfeld säuerlich ein. »Da wird ja normalerweise kein Alkohol getrunken.«
Hermann blickte ihn verwirrt an, ehe er fortfuhr: »Jedenfalls, denen
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