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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Franco Gayo ist einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen, war die offizielle Sprachregelung, die Alexander Bellmann, der Chef des LKA, allen Beteiligten verordnet hatte.
    Meist fühlte sich Clara in Bellmanns Gegenwart irgendwie unwohl, weil er einem das Leben zur Hölle machen konnte, wenn es nicht genau nach seiner Pfeife ging. Ich hasse Überraschungen, hatte er ihr einmal gesagt, als sie bei einem Einsatz anders vorgegangen war als abgesprochen. Für Bellmann war jede Überraschung eine schlechte Überraschung. Doch bei all der Beklommenheit, die Clara manchmal erfasste, wenn sie ihm gegenübersaß, musste sie immer wieder seine messerscharfe Analytik und Logik bewundern, die auch das größte Chaos auf irgendeine Weise geordnet erscheinen ließ. Außerdem gelang es ihm, auch in Zeiten knapper Kassen die Budgets für das LKA konstant zu halten oder sogar zu erhöhen. Diese Ordnung innerhalb des Chaos verkaufte Bellmann dann auch der Politik und der Presse.
    Bellmann hatte von Clara und MacDeath, mit Kopie an Winterfeld, noch gestern Nacht eine kurze Zusammenfassung der möglichen Motive des Täters erhalten, in dem MacDeath explizit die Möglichkeit eines religiös motivierten Ritualmordes in Erwägung gezogen hatte. Bellmann war von der Information wenig begeistert gewesen. Nach all der Aufregung um den Facebook-Ripper vor einem halben Jahr war ein satanischer Killer, der auf bestialische und unvorhersehbare Weise Berühmtheiten abschlachtete, so ziemlich das Letzte, was Bellmann gebrauchen konnte.
    Allen, die der sensationslüsternen Öffentlichkeit auch nur das winzigste Detail außerhalb der genehmigten Sprachregelung preisgeben würden, hatte Bellmann vorsorglich mit drastischen disziplinarischen Konsequenzen bis hin zur Suspendierung gedroht, und bisher hatte es keine undichten Stellen gegeben. Dennoch war die Presse, insbesondere die regionale, voll mit kurzen Berichten, die reißerisch zu klingen versuchten, aber in Ermangelung von konkretem Wissen über die Umstände des Mordes meist nicht viel mehr als große rote Überschriften auf schwarzem Grund und ein Foto des Quartiers 101 mit den Polizeiwagen vom gestrigen Tag waren.
    Gayos Frau, die Politikerin, war ebenfalls nicht erreichbar. Nach Auskunft ihres Büros befand sie sich auf einer Asienreise, und keiner von ihren Mitarbeitern traute sich, ihr die Botschaft vom Tod ihres Mannes zu überbringen, sodass die Kripo dies wohl selbst übernehmen musste.
    Es war neun Uhr. Clara schaltete kurz das Morgenmagazin ein. Auch hier war der Mord an Franco Gayo das Hauptthema.
    »… müssen wir uns fragen, in welcher Stadt wir leben, in der Menschen, die bereit sind, den Schwächsten zu helfen, solch schrecklichen Gewaltverbrechen zum Opfer fallen«, sagte ein Nachrichtenkommentator, der mit bewusst betroffener, anklagender Miene in die Kamera dozierte. »Franco Gayo, das gute Gewissen Deutschlands, ist tot. Seine Leiche wurde gestern Nachmittag von der Berliner Polizei im Quartier 101 gefunden, wo er sein Büro hatte. Laut Polizeiaussagen ist er einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Für eine genauere Stellungnahme zu den Umständen seiner Ermordung stand die Polizei nicht zur Verfügung.« Es folgten ein paar Fernsehmitschnitte Gayos, bevor der Sprecher wieder zu sehen war, der sich jetzt noch etwas weiter vorbeugte, als wollte er aus dem Fernseher klettern, bevor er weitersprach. »Ist dies der Preis dafür, dass Franco Gayo immer bereit war, den Ärmsten und Schwächsten zu helfen? Ist das die Belohnung, die unsere Stadt diesem Mann für sein vielfältiges Engagement gibt? Er hat Tausende von Leben gerettet, nur für sein eigenes hat die Zeit nicht mehr gereicht. Seine Integrität und sein Engagement werden für uns alle ein Beispiel …«
    Clara schaltete den Fernseher aus. Irgendetwas in ihr hatte generell Schwierigkeiten, wenn Leute sich mit solch einer extrem weißen Weste darstellten, mit der sich auch Gayo dargestellt hatte. Denn manche Westen waren absichtlich so weiß, dass sie jeden blendeten und der Betrachter wegen des grellen Lichtes den Schmutz dahinter nicht mehr sah. Aber vielleicht war Clara auch nur paranoid geworden und durch die Dauerbombardierung mit all den Fällen von Mord, Gewalt, Tod, Folter, Schmerz, Verstümmelung und Vergewaltigung einfach nicht mehr in der Lage, an das Gute im Menschen zu glauben.
    Hermann steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Morgen«, sagte er. »Geht’s gut?«
    Clara lächelte. »Schlechten Menschen geht

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