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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Verbrechen nicht immer einen Charakter von Größe und Überlegenheit, der es emporhebt über die langweiligen, feigen Reize des Guten? Denn es reichte nicht, nur das Böse zu tun. Man durfte auch niemals das Gute tun. Non serviam. Ich werde nicht dienen. Das hatte Luzifer gesagt, und dann war er in die Hölle gestoßen worden. Na und? Es war besser, in der Hölle zu herrschen, als im Himmel zu dienen.
    Non serviam. Ich werde nicht dienen. Ich werde zerstören. Ich werde verbrennen. Ich habe kein Bedürfnis, meine Gelüste zu bekämpfen, um dem Schöpfer zu gefallen, dachte er. Denn der Schöpfer ist mein Feind. Entweder Gott ist allmächtig und liebt uns, dann darf es kein Böses geben, oder er liebt uns, und es gibt trotzdem das Böse; dann ist er nicht allmächtig. Oder er liebt uns einfach nicht. Mein Reich ist nicht von dieser Welt, heißt es. Das stimmt. Denn in dieser Welt regiert Satan.
    Es begann mit einem Mord. Kain erschlug Abel.
    Und es wird mit Morden enden.
    Mit Millionen Morden.
    Seine Finger fuhren über die Seiten, auf denen das Ritual beschrieben war. Er leckte sich über die schmalen Lippen und zog zwischen seinen fauligen Zähnen die Luft ein.
    Was ist gut? , dachte er. Zu töten.
    Was ist schlecht? Nicht zu töten.
*
    Ronny wusste, wann sich eine gute Gelegenheit bot, andere abzuzocken oder ihnen die Fresse zu polieren. Am besten beides gleichzeitig.
    Er war mit seinem Kumpel Timo unterwegs in der U5, der U-Bahn, die zwischen Alexanderplatz und Lichtenberger Allee fuhr, und hielt nach einem Opfer Ausschau. Sie waren keine Bösen, sagte sich Ronny, sie waren nur konsequent. Erst fragten sie freundlich nach Zigaretten. Wenn jemand dann die Kippen aus der Tasche zog, bekam er den ersten Schlag verpasst. Und wenn er nichts aus der Tasche holte, erst recht. Am besten auf die Nase. Bei den meisten spritzte sofort das Blut und sorgte für Panik, und durch den Schmerz schlossen sich die Augen. Das Opfer konnte also praktisch gar nichts machen. Falls nötig, gab es dann noch einen Tritt in die Kniekehlen. Und wenn das Opfer dann am Boden lag, einen Tritt in die Nieren, als kleinen Bonus. Oder gegen den Kopf.
    Die Leute, die einen Überfall in der U-Bahn erlebten, waren wie Schaufensterpuppen. Sie taten nichts, saßen regungslos da, schauten weg, als wäre da gar nichts. Sie hofften nur, dass Ronny und Timo mit dem Opfer, das sie gerade in der Mangel hatten, zufrieden waren.
    Und meist war es so. Sie waren zufrieden, wenn sie dem am Boden liegenden, wimmernden Haufen Scheiße das Geld, das Handy und die Zigaretten weggenommen hatten. Manchmal auch noch die Jacke oder die Uhr. Einem hatten sie im tiefsten Winter mal die Designerschuhe ausgezogen.
    Ronny wusste nicht, warum es so war, aber es verschaffte ihm einen Kick, wenn seine Faust oder seine Stiefel einen Menschen trafen. Das Brechen von Knochen, dieses trockene Knacken, das sich mit dem glitschigen Geräusch mischt, wenn die Faust auf blutverschmierte Haut trifft … Es war so geil , es war so einfach , und es funktionierte immer.
    Und die Polizei?
    Die Polizei war für Ronny und seine Kumpels nichts weiter als ein Transportunternehmen. Sie fuhren sie zur Wache, redeten mit ihnen und brachten sie dann nach Hause. Später fuhr man sie zum Gericht, der Richter sprach sie frei, jedenfalls in Berlin, und dann wurden sie wieder nach Hause gebracht.
    »Andere haben beige Taxis, wir haben grüne oder blaue«, sagte Ronny immer.
    Einmal, spätnachts, hatten Ronny und Timo auf einen am Boden liegenden Mann eingetreten. Es hatte Ronny so erregt, dass er sich hinter einer der Säulen versteckt und onaniert hatte, während er Timo beobachtete, der weiter auf den Wehrlosen eintrat. Am Ende hatte er sich gefragt, ob er noch ganz normal sei, aber er hatte zugeben müssen, dass es besser gewesen war als der Bordellbesuch bei dieser Schwarzen mit den dicken Titten, die er vor drei Tagen in Neukölln genagelt hatte.
    An diesem Tag war die U-Bahn fast leer, wie immer um Mitternacht. Nur ein einziger Typ stand in der Mitte des Wagens. An eine Stange gelehnt, hatte er gerade ein abgewetztes schwarzes Buch in einer Tasche verstaut.
    »Bücher sind schwul«, sagte Ronny immer. Deshalb hasste er jeden, der irgendwie mit Büchern zu tun hatte, umso mehr.
    Die Türen schlugen zu. U-Bahn-Station Weberwiese. Erst bei der Frankfurter Allee wurde es vielleicht voller.
    Bis dahin war er mit dem Typen längst fertig.
    Der Mann an der Stange blickte unverwandt in die entgegengesetzte

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