Seelenangst
zuständig für die Bekämpfung des Handels mit Drogen, Waffen und Menschen – riskante, aber extrem einträgliche Tätigkeitsfelder des organisierten Verbrechens.
»Wie sieht Winterfeld die Sache?«, fragte Clara. »Es könnte ja auch sein, dass wir es mit einem Trittbrettfahrer zu tun haben, der den Wirbel ausnutzt, um sich wichtig zu machen.«
Hermann hatte das Gesicht verzogen. »Das kann sein, Winterfeld hält es aber für unwahrscheinlich. Er sagt, er habe da so eine Ahnung.«
Winterfeld und sein zweites Gesicht, dachte Clara. Viel geholfen hatte es bisher allerdings nicht, sah man von seiner Vorhersage ab, die Zeit der Ruhe sei vorbei.
Clara schaute noch einmal auf das Papier, dann blickte sie Hermann an. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hoffte nur inständig, dass nach dem Mord von heute nicht noch ein zweiter Verrückter mit irgendwelchen USB-Sticks auftauchte.
»Na schön«, sagte sie schließlich. »Vielleicht hilft es ja. Wir sollten nur nicht den Fall Gayo aus den Augen verlieren, sonst steigt Bellmann uns aufs Dach.«
*
»Morgen, Frau Vidalis. Morgen, Hermann. Winkler mein Name«, sagte der Beamte an der Wohnungstür von Susanne Wolters, Gayos Sekretärin. Mit seinem hohen Wuchs und dem eisgrauen Schnurrbart sah er ein wenig aus wie Bismarck. Ein Kollege befestigte Absperrband an der Tür.
»Hier hat Susanne Wolters gewohnt. Allein. Es ist ziemlich klar, warum sie am Freitag nicht im Büro war. Und auch, warum sie nicht ans Telefon gegangen ist.«
»Nämlich?«, fragte Clara und versuchte, an den Beamten vorbei in die Wohnung zu spähen.
Winkler wies mit dem Kopf in Richtung Korridor.
»Weil sie in ihrem Bett liegt – mit einer Spitzhacke im Schädel.«
Clara atmete tief durch. Nimmt das denn gar kein Ende? »Irgendwelche Spuren?«
»Der oder die Täter sind sehr schnell und brutal vorgegangen«, sagte Winkler. »Wie es aussieht, haben sie Freitagmorgen die Tür eingetreten, haben die Frau im Bett erschlagen und sind dann wieder verschwunden. Das Schlafzimmer ist am Ende der Wohnung. Die Täter haben die Tür angelehnt, sodass der Leichengeruch sich erst nach und nach in Richtung Treppenhaus ausbreiten konnte, bis die Nachbarn misstrauisch geworden sind. Vorher stand die aufgebrochene Wohnungstür das ganze Wochenende angelehnt offen, und kein Schwein hat etwas gemerkt.«
Das ist Berlin, dachte Clara. »Ja, ganz toll. Dreieinhalb Millionen Einwohner, und keiner merkt was. Irgendwelche Fingerabdrücke?«
»Das ist die gute Nachricht«, sagte Winkler. »Wir haben ein paar Abdrücke und auch Reste von Hautpartikeln gefunden.«
Clara wandte sich an Hermann. »Rufst du von Weinstein an?«
»Geht klar.« Hermann zückte sein Handy.
»Die Proben müssen sofort ins Labor«, sagte sie. »Dann müssen wir schauen, ob wir in der Friedrichstraße noch etwas finden. Außerdem müssen wir mit dem Jungen sprechen, diesem Lukas. Vielleicht finden wir heraus, was es mit diesem seltsamen Stick auf sich hat.«
»Stick?«, fragte Winkler. »Was für ein Stick?«
Clara seufzte. »Fragen Sie nicht.«
22
Thomas Krüger, genannt »Tom«, war der Mann, den Franco Gayo am vergangenen Freitag zuletzt angerufen hatte. Das LKA hatte über die Telefonnummer auf Gayos Apparat Krügers Adresse herausgefunden, ein Einsatzteam vorbeigeschickt und ihn kurzerhand mit aufs Revier genommen, ob er wollte oder nicht.
Krüger war um die fünfzig, trug einen teuren grauen Anzug mit rosa Hemd und hatte einen gebräunten Teint, der entweder vielen Urlauben oder dem häufigen Besuch eines Solariums zu verdanken war. Sein Haar war grauschwarz und offenbar noch sein eigenes.
»Also«, hatte er gefragt, während er immer wieder auf die Uhr geschaut und Clara und Hermann feindselig angeblickt hatte. »Wo fangen wir an?«
»Am Anfang«, hatte Hermann vorgeschlagen.
Krüger hatte sich zuerst sehr aufregt und geschimpft, die Bullen sollten doch gefälligst den Mörder Gayos fangen, anstatt ihm seine Zeit zu stehlen. Er müsse sich jetzt um alles alleine kümmern, lamentierte er, und im Unterschied zur Polizei habe er eine Menge zu tun. Außerdem müsse er noch heute Abend verreisen.
»Verreisen?«, fragte Clara.
»Ja«, sagte Krüger. »Auch wenn Franco Gayo tot ist, seine Organisation muss weiterleben.«
Clara blickte Hermann an. Der schaute skeptisch drein.
»Wo wollen Sie denn hin?«
»Nach London.«
»Könnte schwierig werden.«
»Schwierig?«, fragte Krüger gedehnt und starrte Clara unverwandt an.
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