Seelenangst
Mann mit der schwarzen Brille fort. »Und einen Tag später …«
Der Kopf zog sich in die Kiste zurück, als wollte er dem Unheil entfliehen, das von oben kam.
»… einen Tag später wirst du einen Menschen töten.«
29
Clara und MacDeath stiegen die vier Treppenfluchten ins Untergeschoss hinunter. Hermann und zwei Experten von der IT hatten sich im Keller des LKA eingerichtet, gleich neben dem Kopier- und Druckerraum. Eine der Schreibkräfte schleppte einen Stapel Unterlagen herein und ließ ihn krachend auf den Schreibtisch fallen.
Winterfeld saß bereits in einer Ecke, überflog einige Papiere und schüttelte den Kopf. Neben ihm saß ein grauhaariger Mann um die sechzig. Er trug eine dunkelbraune Tweedjacke, und seine Augen sahen aus, als würde er jeden Moment einschlafen. Doch Clara wusste, dass dieser Eindruck häufig bei Menschen entstand, die hellwach waren und gelernt hatten, ihre Augen, die Fenster zur Seele, nahezu perfekt zu verbergen. Bei dem Mann musste es sich um Erich Weber vom BKA handeln, den Clara schon einmal irgendwo gesehen hatte.
Die IT hatte vorsichtshalber mehrere Kopien des USB-Sticks gezogen. Eine dieser Kopien steckte in einem Laptop, der auf dem Tisch des fensterlosen Raumes stand und mit dem großen Drucker im Nebenzimmer verbunden war, der ununterbrochen ratterte und Papiere ausspuckte.
»Druckt ihr den gesamten Inhalt des Sticks aus?«, fragte Clara.
»Da sind dermaßen brisante Sachen drauf«, sagte Hermann, »die können wir unmöglich alle am Bildschirm durchlesen.«
Einer der Assistenten kam in den Raum und ließ einen weiteren großen Aktenstapel auf den Tisch krachen. »Das papierlose Büro«, sagte er und blickte Clara an, »ist genau so wahrscheinlich wie die papierlose Toilette.«
»Sehr witzig«, sagte Clara. »Die Nachhaltigkeitsabteilung wäre aber nicht begeistert von dem Ressourcenverbrauch. Bei der Herstellung von einem Blatt Papier werden zehn Liter Wasser verbraucht, oder wie war das?«
»Was wir machen, ist sowieso nicht nachhaltig«, sagte Hermann. »Wir fangen die Mörder erst, nachdem sie Leute umgebracht haben. Sie vorher zu fangen, wäre besser, aber dann wären sie keine Mörder.«
»Minority Report lässt grüßen«, sagte einer der Assistenten.
»Wollen wir jetzt mal zur Sache kommen?«, grollte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Zimmers. Winterfeld hatte sich erhoben und ließ wie ein Feldherr den Blick schweifen. »Ich fürchte, nach Scherzen wird gleich keinem von euch mehr zumute sein. Aber stellen wir erst mal unseren Gast vor.« Er zeigte auf den grauhaarigen Mann. »Das ist Erich Weber vom Bereich SO des BKA. Er hat sich freundlicherweise eine Stunde seiner Zeit freigeschaufelt und bleibt noch etwas länger in Berlin, bevor er zurück nach Wiesbaden fliegt.« Winterfeld legte einige der Papiere auf den Tisch und blickte auf Hermann. »Ihr habt den Stick bereits durchgeschaut?«
»Ja.«
»Gut. Dann bring Clara und MacDeath auf Flughöhe.«
Hermann nickte. »Wir haben hier zu dritt die gesamten Unterlagen aufbereitet«, begann er. »In den letzten Stunden haben wir vielleicht dreißig Prozent davon überfliegen können. Das, was uns wichtig erschien, haben wir ausgedruckt. Auf dem Stick sind aber insgesamt mehr als drei Gigabyte, auch mehrere Dateien, die passwortgeschützt sind. Oliver ist gerade oben dabei, die Passwörter zu knacken.«
»Okay«, sagte Winterfeld. »Jetzt zum Inhalt.«
»Wie es aussieht«, berichtete Hermann, »hatte Franco Gayo noch eine andere Beschäftigung, die aber mit dem, was er nach außen hin zu tun vorgab, indirekt zusammenhing.«
»In einem Wort?«, fragte Clara, die noch immer nicht verstanden hatte, um was genau es ging.
»Menschenhandel«, sagte Hermann tonlos.
»Menschenhandel?« Clara und MacDeath blickten sich an.
»Hier«, Hermann zeigte auf einen Stoß Papiere, darunter Spendenquittungen, Bescheinigungen und ärztliche Unterlagen, »stoßen beide Welten zusammen. Gayo hat in Europa für Hilfsgelder, Spenden und Patenschaften für Kinder aus Armuts- und Katastrophenregionen geworben, beispielsweise aus Haiti, wo 2010 das verheerende Erdbeben war. Die Idee, mit der er in jeder Talkshow hausieren ging, war die, dass die Kinder durch Spenden in Europa eine gute Ausbildung bekommen und danach wieder nach Haiti oder wohin auch immer zurückkehren, um dort beim Aufbau des Landes zu helfen. So weit klingt das alles ja sehr schön und nächstenlieb. Gleichzeitig«, er hielt ein zusammengeheftetes
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