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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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rausbekommt.«
    Der Phantomzeichner führte Lukas, gemeinsam mit einem Polizeipsychologen, in einen Nebenraum.
    Claras Handy klingelte erneut. Es war Hermann.
    »Ja?«
    »Wir sind fertig mit dem Stick.«
    »Gut«, sagte sie. »Unten im Keller?«
    »Ja. Kommt am besten runter. MacDeath auch. Winterfeld ist schon da. Erich Weber ebenfalls.«
    »Was ist denn auf dem Stick?«, fragte Clara.
    Hermann schwieg ein paar Sekunden, ehe er antwortete: »Der schlimmste Albtraum, den man sich vorstellen kann.«

28
    Er durchschritt den steinernen Bogen, die Augen verdeckt von der nachtschwarzen Brille, die sein blasses, hageres Gesicht wie einen Totenschädel aussehen ließ.
    »Ist es so weit?«, fragte er. Seine Stimme klang brüchig, weil er selten sprach.
    Das eiserne Tor, das in den großen Innenhof führte, war geöffnet. Am Ende des Hofes stand eine Statue mit Hörnern und Flügeln. Ein tiefer Brunnenschacht, schwarz und schier bodenlos, führte in die Eingeweide der Welt. Vor der Statue stand ein steinerner Block, bespritzt mit einer dunkelroten Flüssigkeit. Knochen und andere, teils verbrannte Überreste, die man nicht erkennen konnte, lagen zu Füßen des Steinblocks. Die Mauern erhoben sich fünf Meter in den trüben Himmel, an dem Gewitterwolken vorüberzogen. Die Mauersteine waren von Moos überwuchert, das sich wie eine schimmelige Flut über der moderigen Mauer ausbreitete. Hier und da sah man Spritzer von Blut und abgebrochene Fingernägel. Sie stammten von denen, die versucht hatten, die Mauer hinaufzuklettern, um zu fliehen, und deren Überreste jetzt vor dem Steinblock mit der Statue lagen.
    In der Mitte des Hofes stand eine Holzkiste, ungefähr zwei Meter lang. Ein Mann mit eingefallenen Wangen und wirren schwarzen Haaren stand vor der Kiste. Um seinen Hals hing ein umgedrehtes Kreuz.
    »Ist es so weit?«, fragte der Mann mit der schwarzen Brille noch einmal.
    »Ja«, sagte der andere. »Es ist jetzt zwei Tage in der Kiste gewesen. Am ersten Tag allein. Am zweiten Tag mit den Käfern.«
    »Was hat es mit den Käfern gemacht?«
    »Es hat einige zertreten. Aber es hat geschrien, weil die ganze Kiste voller Blut und Matsch von den zerquetschten Biestern war.«
    »Es hat verstanden. Wenn es versucht, die Situation zu verbessern, wird sie nur noch schlimmer.«
    Aus der Kiste drang ein unterdrücktes Stammeln.
    »Wird es uns wiedererkennen?«, fragte der Mann mit den schwarzen Brillengläsern.
    »Nein«, sagte der mit dem umgedrehten Kreuz und den struppigen Haaren. »Ein Teil sieht uns als die, die es in die Kiste gesteckt haben. Ein Teil sieht uns als die, die es aus der Kiste befreien.« Er grinste. »Aber den ersten Teil hat es schon vergessen.«
    »Die Konditionierung hat funktioniert«, sagte der Mann mit der schwarzen Brille. »Mach die Kiste auf.«
    Der Mann mit dem umgedrehten Kreuz öffnete das schwere Vorhängeschloss. Beinahe im selben Moment schoss ein Kopf aus der Kiste hervor. Das Alter der Kreatur war undefinierbar. Die Haare waren verdreckt und verfilzt, das Gesicht voller Schmutz und nass von Tränen, die Augen ein Meer aus Angst und Schmerz. Die Kreatur öffnete den Mund, starrte zum Himmel und stieß einen fürchterlichen, hohlen Schrei aus. Lebende und halb zerquetschte Käfer krabbelten oder fielen aus der Kiste. Es war ein grauenvoller Anblick.
    Der Mann mit der schwarzen Brille trat an die Kiste heran und schaute auf die Kreatur hinunter.
    »Du bist frei«, sagte er.
    Der Kopf, der aus der Kiste ragte, blickte ihn ungläubig an.
    »Böse Menschen haben dich in die Kiste gesperrt. Aber wir …«, er schaute auf den Mann mit dem umgedrehten Kreuz, »wir haben dich befreit.«
    »Ich … bin … frei«, sagte die Kreatur, deren Kopf so verdreckt war, dass man nicht erkennen konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. »Frei …«
    »Frei«, sagte der Mann mit der schwarzen Brille. »Aber dafür musst du etwas für uns tun.«
    Anstatt dem Mann zu antworten, starrte die Kreatur mit weit aufgerissenen Augen zu ihm hoch.
    »Der Meister hat sich gemeldet«, sagte der Mann. »Er hat uns einen neuen Auftrag erteilt. Und du wirst diesen Auftrag ausführen.« Er schaute auf den grässlichen Kopf hinunter. »Aber dafür musst du üben.«
    »Üben?«, fragte die Kreatur ungläubig.
    »Heute«, sagte der Mann, »wirst du ein Tier quälen. Morgen wirst du ein Tier töten.«
    Die Kreatur begann zu zittern, und in ihrem Gesicht zuckte es.
    »Übermorgen wirst du einen Menschen quälen«, fuhr der

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