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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Dossier in die Höhe, »haben wir hier Dokumente, in denen es um Menschenhandel geht.« Er senkte die Stimme. »Gayo hatte die Kinder aus Haiti schon nach Europa geholt. Und er hat sich von möglichen Paten Geld dafür geben lassen. Nur hatten diese Paten keine Ahnung, dass ihre Spenden nicht in die Ausbildung der Kinder geflossen sind, sondern zwei völlig andere Aktivitäten finanziert haben.« Er senkte die Stimme noch weiter. »Grenzüberschreitenden Menschenhandel und Kinderprostitution.« Er schaute Weber an. »Richtig?«
    Weber nickte.
    Clara merkte, wie das Grauen ihr den Rücken hinaufkroch, kalt und glatt wie die Zunge eines Monsters, die ihr über die Schulterblätter leckte.
    »Das kann nicht sein«, sagte sie. »Gayo hat auf Tausenden von Benefizveranstaltungen Spendengelder gesammelt. Mit diesen Geldern soll er Kinderprostitution finanziert haben?«
    Weber nickte und zeigte auf einige Ausdrucke. »Hier haben wir ein Diagramm mit Zahlungsströmen. Das Geschäft läuft folgendermaßen.« Er hielt das Blatt in die Höhe. »In Haiti werden die Kinder oder deren Eltern in Elendsvierteln von organisierten Banden angesprochen, die auf Provisionsbasis arbeiten. Die schwärmen den Familien dann von einer besseren Zukunft der Kinder in Europa vor. Oder sie entführen sie einfach. Aufgrund der anarchischen Verhältnisse nach dem Erdbeben gab es keine zuverlässige Zählung der Opfer, deshalb hat keiner gemerkt, wenn plötzlich jemand fehlte. Gleichzeitig kümmert sich Gayos sogenannte Wohltätigkeitsorganisation um die weiße Weste, das heißt, sie machen schöne Fotos von den Kindern, die die künftigen Paten bekommen und die auch an die künftigen Kunden gehen. Die Kunden können sich mithilfe der Fotos ihr … nun, nennen wir es Lieblings-Sex-Spielzeug aussuchen. Letzteres natürlich über einen anderen Kanal. Do ut des kümmert sich auch um die Einreiseformalitäten für die Kinder nach Europa, ein Dreimonatsvisum für Deutschland, die Flugkosten und so weiter.« Er zog ein weiteres Blatt hervor. »Diesen Kostenblock nennt Gayo ›Working Capital‹. Er ist zu begleichen, bevor die Kinder beim Endkunden landen und bevor der Endkunde zahlt. Betriebswirtschaftlich ist das eine Risikoposition, denn es kann sein, dass man all die Logistik bezahlt hat, die Kinder aber nicht beim Kunden ankommen, sodass man keinen Profit machen kann. Um dieses Risiko auszuschalten und das Working Capital gegenzufinanzieren, erfand Gayo …«
    »… die Spenden?«, ergänzte Clara. Sie konnte kaum glauben, dass sie dieses Wort gerade selbst ausgesprochen hatte.
    Weber nickte.
    MacDeath meldete sich zu Wort. »Seit wann läuft dieses Geschäft?«
    Hermann zog einen großen Ordner hervor und schlug ihn auf. »Wo haben wir’s …« Er blätterte durch die Seiten. »Hier. Seit vier Jahren. Ursprünglich hat Gayo ein Kinderheim in Punta Cama in der Dominikanischen Republik übernommen. Der Besitzer des Heims hat eines Tages erkannt, dass er auf einer sehr lukrativen Einnahmequelle sitzt und hat die Kinder an Sextouristen aus Europa und den USA vermietet. Gayo war das allerdings zu riskant.« Hermann klickte durch die Seiten auf dem Bildschirm. »Hier haben wir sogar eine Sounddatei eines offenbar vertraulichen Gesprächs zwischen Gayo und diesem Tom, den es gerade mit der Nagelpistole erwischt hat. Keine Ahnung, wer das aufgenommen hat.« Er startete den Audioplayer. Eine Männerstimme ertönte.
    Können wir das nicht genauso machen wie der Typ in Punta Cama? Das Geld legen wir dann auf den Caymans an und müssen nicht mal Steuern zahlen.
    Eine andere Männerstimme antwortete. Wahrscheinlich war es Gayo.
    Keine gute Idee. Die Kinder alle an einem Ort zu konzentrieren, nennt man in Bankenkreisen ein Klumpenrisiko. Es kann immer sein, dass irgendwelche Hilfsorganisationen von so was Wind bekommen und den Laden dichtmachen. Zudem sind viele, die solche Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen, nach wie vor nicht bereit, so weit zu reisen. Warum drehen wir das Ganze nicht um, holen die Kinder nach Europa und verteilen sie über diverse Haushalte? So bekommt niemand etwas mit, und die Leute müssen nicht reisen.
    Weber schaltete sich wieder ein: »Dann sind sie auf die Idee gekommen, die Reisekosten für die Kinder mit Spendengeldern abzudecken. Das ist die sogenannte Working-Capital-Logik. Das Ganze läuft über eine Briefkastenfirma in Uruguay. Wir sprechen deswegen gerade mit Interpol.« Er hob einen weiteren Zettel in die Höhe, auf dem

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