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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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und drehte sich um. »Aber schnell, bitte.«
    »Warum tun Sie, was Sie tun?«
    Clara zuckte die Schultern. »Warum tun die Leute, was sie tun? Die meisten tun das, was sie tun, des Geldes wegen. Die anderen haben entweder Glück oder sind bescheuert.«
    »Verdient man hier so viel Geld?« Clara schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Dann sind Sie …?«
    »Erraten«, sagte Clara. »Bescheuert.«
*
    Als Erstes sah Clara klaffende Wunden und rohes Fleisch auf dem metallenen Sektionstisch der Rechtsmedizin. Erst dann sah sie die vielen Tätowierungen, die dicht an dicht den ganzen Körper bedeckten – oder das, was davon übrig war.
    »Ist der vom Zug überrollt worden?«, fragte MacDeath.
    Von Weinstein nickte. »Sie werden es nicht glauben, aber das ist er. ICE nach Hamburg. Bahnhof Spandau.«
    »Todesursache?«, fragte Clara.
    »Suchen Sie sich eine aus.«
    »Wie bitte?«
    »Wir haben ihn schon mal durchs CT geschoben, bevor wir mit der Obduktion anfangen.« Von Weinstein zog das Protokoll hervor und las vor. »Sprengung des Hirnschädels, Abriss des Hirnstamms, Mittelgesichtsfrakturen, Herzvorhof möglicherweise zerrissen, aber das können wir erst bei der Sektion sicher sagen. Außerdem wahrscheinlich Leberrisse und Milzriss. Bruch des vierten und fünften Halswirbelkörpers, Brustkorbniederbruch, Abreißung der Lungen, wie es aussieht, komplette Abtrennung des rechten Oberarms und des rechten Oberschenkels und inkomplette Abtrennung der linken Hand.« Er ließ das Papier sinken. »Todesursache: Polytrauma.«
    Polytrauma. Das bedeutete, mehrere Verletzungen, von denen jede für sich allein tödlich war.
    »Wie geht es dem Lokführer?«, fragte Clara. Sie hatte immer Mitleid mit denen, die ohne Verschulden in das Grauen hineingezogen wurden.
    Von Weinstein zuckte die Schultern. »Wie soll’s dem gehen? Da müssen Sie die Psychologen fragen. Die Bahn hat ja mittlerweile eigene Psychologen eingestellt, da jeder Lokführer in seinem Berufsleben im Schnitt vier Menschen überfährt. Da ist es günstiger, die gleich vor Ort behandeln zu lassen.« Er stemmte die Hände in die Hüften. »Also, wie soll’s dem gehen? Gute Laune wird er nicht haben. Ist ja nicht so, als ob man mal eben einen Igel überfährt.«
    Clara blickte ihn strafend an.
    »Suizid?«, fragte MacDeath.
    Von Weinstein nickte. »Darauf tippe ich als Erstes.«
    »Kläre ich mit den Kollegen vor Ort in Spandau«, sagte Clara. »Also, warum ist der arme Kerl interessant für uns?«
    Von Weinstein schritt zum Kopfende des Tisches und zeigte mit seinem Metallstab auf den Nacken des kahlköpfigen Mannes, der bäuchlings auf dem Obduktionstisch lag.
    »Tattoos sind ja eigentlich nichts Ungewöhnliches«, sagte von Weinstein. »Aber hier sind es ziemlich viele. Der zweite Fall innerhalb von drei Wochen. Fast so wie bei Fisto. Sie erinnern sich?«
    Clara erinnerte sich sehr gut. »Fisto«, ein muskelbepacktes Monster von einem Meter neunundneunzig, war ein Zuhälter aus der Schwulenszene, der auf von Weinsteins Tisch gelandet war, nachdem er eine Überdosis LSD eingeschmissen hatte und dann aus einem offenen Fenster im achten Stock gesprungen war, weil er dachte, es wäre die Terrassentür. Um auszuschließen, dass es sich um einen Mord handeln könnte, war das LKA kurz an dem Fall dran gewesen. Fisto, der seinen Namen wegen seiner Zuneigung zur Fisting-Szene hatte, hatte sich ein maßstabgetreues Zentimetermaß auf den rechten Unterarm tätowieren lassen. Dazu am ganzen Körper Engel, die sich gegenseitig anal penetrierten und sich ihre Fäuste und Hände sonst wo hinsteckten. Clara hatte sich damals gefragt, wie sich Männer wie Fisto eigentlich fühlten, wenn sie mit ihren Tattoos mit 80 Jahren im Altersheim saßen. Aber dazu war es in Fistos Fall ja nicht mehr gekommen.
    Hier genauso wenig. Aber der hier hatte ganz andere Tattoos. Claras Blick glitt über die Dutzenden von Drachen, Dämonen, Totenköpfen, Flammen und Klingen auf der Haut des Toten.
    »Lassen wir Fisto Fisto sein. Wo steht das Wort, von dem Sie mir erzählt haben?«, fragte sie.
    »Hier«, sagte von Weinstein. »Siebter Halswirbel.«
    In Fraktur stand dort »Legion«. Darunter ein umgedrehtes Kreuz.
    »Auf Höhe des siebten Halswirbels.« Clara runzelte die Stirn. »Ein bisschen so wie bei der Russenmafia. Die haben immer ein Kreuz in Höhe es siebten Halswirbels. Nur dass es hier ein umgedrehtes Kreuz ist.«
    Von Weinstein nahm die Brille ab. »Vielleicht hat er ja mit eurem Fall zu

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