Seelenangst
gesagt.«
»Guter Vergleich«, entgegnete Clara. »Das Dumme ist nur, dass wir das Bild immer erst dann sehen, wenn es zu spät ist. Wenn der Künstler das Bild fertig gemalt hat, ist der Mord bereits geschehen.«
»Ich habe vor Kurzem eine interessante Geschichte von James Joyce gelesen«, sagte Freese. »Über die Toten und was sie mit der Welt der Lebenden zu tun haben. Kann ich Ihnen gerne mal mitbringen.«
»Können Sie machen«, sagte Clara und fragte sich, was das wohl sein würde. »Aber tot ist meistens tot.«
»Tot ist tot.« Freese nickte. »Aber gibt es eine Gemeinsamkeit bei den Killern? Etwas Ungewöhnliches?«
Clara nickte. »Ja. Natürlich gibt es psychische Übereinstimmungen, was Missbrauch und andere Dinge in der Kindheit angeht. Aber ich habe außerdem eine seltsame Gemeinsamkeit festgestellt.«
»Und welche?«
»Das Lieblingsauto von Vergewaltigern, Ritualmördern und Serienkillern ist der VW Käfer. Sowohl in Europa als auch in den USA.« Sie machte eine Pause. »Aber eigentlich ist das logisch, oder?«
Freese hob die Augenbrauen. »Wieso?«
»Der Wagen wurde auch von einem Massenmörder in Auftrag gegeben.«
Freese runzelte die Stirn. »Von Hitler, ich weiß.« Er schüttelte den Kopf. »Kann das denn ein Zusammenhang sein?«
»Wie so vieles in unserem Beruf: Muss nicht, kann aber.«
Claras Handy klingelte. »Das wird das Einsatzkommando sein«, sagte sie, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und blickte Freese an. »Wir statten dieser Mandy Weiss jetzt einen kleinen Besuch ab. Das könnte allerdings ungemütlich werden.«
»Keine Sorge«, sagte Freese. »Ich werde hierbleiben und nicht im Weg stehen.«
»Das wäre auch besser.« Clara stürzte den Rest Kaffee hinunter, nickte Freese kurz zu, erhob sich und nahm den Anruf entgegen. »Vidalis«, meldete sie sich, während sie das Förderband ansteuerte, auf dem das schmutzige Geschirr aus der Kantine in die Spülmaschine transportiert wurde.
Doch es war nicht das mobile Einsatzkommando.
5
»Weinstein hier«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Passt es kurz?«
Clara blieb stehen. Die Rechtsmedizin und von Weinstein hatte sie nicht erwartet.
»Hören Sie, wir haben gleich eine Hausdurchsuchung. Können wir vielleicht später …«
»Könnte sein, dass es Sie interessiert, was wir gefunden haben.«
»Wahrscheinlich eine Leiche.« Clara verdrehte die Augen. Was sollte es bei Weinstein sonst sein? Oder überhaupt in ihrem Job.
»Da haben Sie recht.«
Clara verfluchte von Weinstein und seine Art, langsam und umständlich zur Sache zu kommen.
»Hören Sie, bei allem Interesse, aber wir arbeiten mit Hochdruck am Fall Gayo und …«
»Mein Name ist Legion«, sagte von Weinstein. »Sagt Ihnen das noch etwas?«
»Natürlich sagt mir das noch etwas«, entgegnete Clara unwirsch. »Das stand an die Wand von Gayos Büro geschrieben, mit seinem Blut.«
»Und hier steht es wieder.«
»Wie bitte?«
»Wir haben hier einen Typen mit reichlich Tätowierungen. Spinnen, Totenköpfe und Pentagramme. Er ist übel zugerichtet, aber vieles kann man noch lesen. Beispielsweise das Wort ›Legion‹.« Von Weinstein machte eine Pause. »Könnte interessant sein, nicht wahr? Aber wenn es jetzt nicht passt, ist das natürlich Ihre Sache.«
Legion.
Purer Zufall? Oder hatte es wirklich etwas mit ihrem Fall zu tun?
In Claras Kopf arbeitete es. Sie könnte kurz nach Moabit fahren, sich die Leiche anschauen, vielleicht MacDeath mitnehmen, dann schnell weiter nach Neukölln zur Hausdurchsuchung und schauen, was mit dieser Mandy Weiss war.
Könnte, müsste, sollte. Wie schön es wäre, könnte man an zwei Orten gleichzeitig sein.
»Also gut«, sagte sie. »Ich komme mit Dr. Friedrich vorbei, falls er gerade Zeit hat. Wenn ich weitermuss, bleibt Friedrich noch bei Ihnen und klärt die restlichen Fragen.«
»Gern«, sagte von Weinstein. »Wann sind Sie hier?«
Clara schaute auf die Uhr.
»In zwanzig Minuten.«
Sie ließ das Handy sinken und schaute Freese an.
»Ich mache einen Umweg«, sagte sie. »Über Moabit.«
Freese nickte. »Habe ich schon halb mitbekommen.« Er lächelte. »Und auch da werde ich nicht im Weg stehen.«
»In Ordnung.« Clara zückte wieder ihr Handy, um MacDeath anzurufen. »Dann sehen wir uns später.« Sie nickte Freese zu und blickte zur Tiefgarage.
»Eine letzte Frage noch, Frau Vidalis.«
Clara stellte die Kaffeetasse auf das Förderband, woraufhin sie mit ruckelnden Bewegungen in Richtung Küche verschwand,
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