Seelenangst
Kopf kraulte, der es fröhlich geschehen ließ.
»Wenn ich auf meine alten Tagen irgendwas habe, dann ist es Zeit«, erwiderte Kremmer. »Kannten Sie mich eigentlich von irgendwoher? Ich meine, bevor Freese Ihnen was gesagt hat, dieses Waschweib, das alles weitererzählt?«
Clara schüttelte den Kopf. »Nur über Freese. Ich hatte vorher nie von Ihnen gehört.«
»Ich von Ihnen auch nicht. Nur ist es bei mir Absicht, bei Ihnen nicht.« Er lachte ein kurzes, raues Lachen, das es nicht bis zu seinen Augen schaffte. »Kommen Sie rein.« Er führte seine Besucher ins Wohnzimmer. Angesichts der Möbel konnte man den Eindruck gewinnen, die Zeit wäre irgendwann in den Fünfzigerjahren stehen geblieben. So ähnlich , dachte Clara, muss es in der Wohnung von Schabowsky aussehen, der 1989 mit seiner Presseerklärung zur Maueröffnung der Wiedervereinigung gewaltig auf die Sprünge geholfen hat.
Ihr fiel das Wappen der Stasi auf, das wie selbstverständlich an der Wand hing. Darunter die Worte »Schild und Schwert der Partei« und das Gründungsdatum: 8. Februar 1950. Ein Stück rechts davon hing ein Schwarz-Weiß-Foto, das eine ungefähr dreißigjährige Frau zeigte. Darunter stand das lateinische Zitat Tempus fugit, amor manet – Die Zeit vergeht, die Liebe bleibt. Wann diese Liebe aus Kremmers Leben geschieden war? Sie würde es wohl nie erfahren.
»Es gab harte und weiche Formen in der Stasi«, sagte Kremmer, als sie das Wohnzimmer betraten. »Die harten Formen waren Folter und Auftragsmord, die weichen waren Devisenbeschaffung, Häftlingsfreikauf und die Abschiebung von unerwünschten Bürgern in den Westen. Ich war für die weichen Formen zuständig, die aber irgendwann hart werden konnten.«
»Waren Sie gerne bei der Stasi?« Clara fand die Frage etwas unpassend, aber Kremmer schien zynisch genug zu sein, um sie ehrlich zu beantworten.
»Die Zugehörigkeit zur Stasi hatte viele Vorteile.« Kremmer setzte sich in einen der Cocktailsessel im Stil der Sechzigerjahre, die in einigen In-Kneipen Berlins in Prenzlauer Berg wahrscheinlich schon wieder als cool gelten würden, während Wotan sich zu seinen Füßen niederließ. Clara und MacDeath wies Kremmer zwei andere Sessel zu. »Man bekam ein Auto ohne Wartezeit, eine eigene Mehrzimmerwohnung, bevorzugten Eintritt zu Konzerten und Theateraufführungen.« Er schaute sich um. »Jetzt habe ich gar nichts mehr, nicht mal mehr ein Auto, obwohl man Autos heute angeblich viel schneller und einfacher kriegt. Wenn ich fahren muss, nehme ich die M8, wenn ich überhaupt mal fahre.« Er hielt kurz inne. »Als Schabowsky sich damals verhaspelt hat, da wusste ich, es ist aus. Mielke kam in Haft, 1989, nach Hohenschönhausen, wo er selbst so viele reingesteckt hat. Schon komisch.« Er zündete sich eine filterlose Zigarette an, die offenbar aus Russland kam, und paffte ein paar Züge.
»Wie kommt es, dass man Sie in Ruhe gelassen hat?«
Kremmer lächelte gequält. »Manchmal muss man wissen, wann man die Seiten wechselt. Die Hauptverwaltung HV A, Aufklärung, Markus Wolf … Sie wissen schon, der Stellvertreter Mielkes. Er kannte und schätzte mich. Dadurch hatte ich Zugriff auf einige Mobilmachungs-Karteien, an denen die CIA großes Interesse hatte. Ohne mich hätten sie die nie bekommen. Also habe ich ein bisschen nachgeholfen.« Er drückte die Zigarette aus. Wotan blinzelte müde. »Dafür hat die CIA bei der Gauck-Behörde Immunität für mich erwirkt und im Gegenzug einen Teil der Akten der Bundesregierung überlassen.« Er machte ein Gesicht, als müsse er sich entschuldigen. »Keine Sorge, ich möchte Ihnen nicht meine ganze Biografie erzählen. Freese sagte, sie wären an dieser Drogengeschichte für die NVA interessiert?«
Beide nickten.
»Nun, die Geschichte hängt mit den Dokumenten zusammen, die ich der CIA zugeschustert habe. Die Scharfmacherdrogen, die die Stasi weiterentwickelt, aber nicht erfunden hat.«
»Wo kamen diese Drogen denn ursprünglich her?«, fragte MacDeath.
»Von denen, ohne die es die DDR nicht gegeben hätte.« Kremmer kniff die Lippen zusammen. »Von der deutschen Wehrmacht im Dritten Reich.«
13
Die Limousine glitt weiter über die Alpenstraßen, während Isabel Venturas den Bluetooth-Ohrhörer ans Ohr geklippt hatte und sich auf Englisch mit einem schwerreichen Kunden aus Russland unterhielt.
»Ja«, sagte sie. »Wir haben da einen Fitnessclub in Pakistan, da können Sie sich den … sagen wir mal, Körper anschauen. Er ist in
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