Seelenangst

Topverfassung. Keine Sorge.«
    Der Mann am anderen Ende sagte etwas.
    »Ich weiß«, erwiderte Isabel. »Und Sie müssen sich bei mir nicht entschuldigen. In Russland wird gerne mal getrunken. In muslimischen Ländern kaum.« Sie schaute auf die verschneiten Berggipfel. »Ich verspreche Ihnen, Sie bekommen zusätzlich eine fast jungfräuliche Leber. Die müssen Sie dann aber gut behandeln.« Sie kicherte und tippte eine Mail in ihren Laptop. »Mein Kollege schickt Ihnen die Maße, die Fotos und alles Weitere.«
    Sie hörte aufmerksam zu.
    »Wir hoffen sehr, dass wir bald so weit sind«, sagte sie dann. »Das Ganze ist nicht einfach, insbesondere, was die Fusion, also die Verbindung, am Rückenmark angeht. Aber wir werden bald eine Lösung finden.« Sie tippte wieder in ihren Laptop. »Vielleicht wollen Sie Ihren künftigen Körper mal sehen? Live, meine ich. Wie bitte? Ja, natürlich gibt es ihn. Im Moment trainiert er für Olympia. Das ist jedenfalls die Version, die wir ihm erzählen.«
    Sie lächelte. Dieser Deal würde ihr zehn Millionen bringen, wenn alles glattging. So viel, wie ein neues Leben nun mal kostete.
    Sie hörte wieder zu. »Machen wir so«, sagte sie schließlich. »Aber die Verträge werden Sie unterschreiben müssen. Wie gesagt, noch können wir nichts garantieren … Genau, sicher ist nur der Tod. Und den wollen wir ja umgehen. Sie hören von uns.«
    Isabel beendete das Gespräch und schaute auf das Bergpanorama. Die Gipfel und Höhenzüge reihten sich aneinander wie Diagramme, die Zahlungen anzeigten. Euros, Dollars, Pfund, Schweizer Franken. Zehn, zwanzig, fünfzig Millionen.
    Geld. Sehr viel Geld.
    Isabel lehnte sich zurück und lächelte.

14
    »Die Stasi hatte nicht unbedingt etwas gegen die Nazis«, sagte Kremmer, der an einer neuen Zigarette zog. »Genau wie im Westen war nach der Kapitulation 1945 gutes Personal knapp, sodass viele Altnazis auf ihren Posten blieben. Für die junge Stasi, die ja fünf Jahre später gegründet wurde, gab es dann in Sachen Entnazifizierung einiges zu tun. Um Nazis zu jagen, mussten erst mal welche da sein.« Er schaute zur Wand. »Sie kennen ja den chinesischen Spruch: Um etwas zu fangen, muss man es erst einmal entwischen lassen.«
    Claras Blick folgte dem Kremmers. Erst jetzt fiel ihr das Mao-Porträt an der Wand auf. »Das heißt, die Entnazifizierung war eine der ersten Handlungen der Stasi?«, fragte sie.
    »Nicht nur«, sagte Kremmer. »Wir haben auch viel von den Nazis gelernt. Die NVA zum Beispiel, die Nationale Volksarmee, wurde nach dem Krieg der Wehrmacht nachempfunden. Genosse Stalin wollte das so, er hatte großen Respekt vor der Wehrmacht. Während eure Bundeswehrsoldaten in den Schlabberklamotten der amerikanischen GIs herumliefen, hatten die NVA-Truppen die gleichen Stiefel, Mäntel und Helme wie die Wehrmacht.« Er zog an seiner Zigarette. »Und die NVA war die beste Armee des Ostblocks, abgesehen von der Roten Armee. Überall wurde aufgeräumt. In Angola, Mosambik, Algerien, Libyen, Irak. Sechzehn Generäle hatten in der Wehrmacht gedient. Und sie hatten etwas mitgebracht.«
    »Und was?«, fragte MacDeath.
    »Mein Englisch ist nicht so gut, aber nennen wir es mal ›Wehrmacht on Speed‹.«
    Hinter MacDeaths Stirn arbeitete es. »Davon habe ich mal gehört.«
    »Es begann mit Experimenten im KZ Sachsenhausen«, sagte Kremmer. »Sie haben eine neue Energiepille mit Namen D-IX erfunden. Die Häftlinge mussten die Pille nehmen und dann mit
    Zwanzig-Kilo-Rucksäcken im Kreis laufen. Das Zeug enthielt unter anderem Kokain. Es war Hitlers letzte Geheimwaffe, um einen längst verlorenen Krieg zu gewinnen. Was interessant ist, denn Drogenkonsum wurde im Dritten Reich mit dem Tod bestraft. Für Zivilisten, wohlgemerkt. An der Front waren Drogen und Alkohol in Ordnung. Und für den Führer selbst offenbar auch. Hitler hat seit 1942 Methamphetamine und Kokain gegen Schmerzen bekommen. Ebenso Morphium. Man kann von Honecker ja halten, was man will, aber der war wenigstens nicht drogensüchtig.«
    Kremmer drückte die Zigarette aus und streichelte Wotan. »Die Männer in den KZs konnten ewig die schweren Rucksäcke schleppen und fast ohne Schlaf auskommen, bis sie tot zusammenbrachen. Was die Entsorgungskosten sehr reduziert hat. Keine Rente, kein Lazarett und so weiter. Man nannte die Typen, die immer im Kreis laufen mussten ›die Pillenpatrouille‹.«
    MacDeath kritzelte etwas in sein Notizbuch. »Und wer hat das Zeug entwickelt?«
    »In Kiel gab es