Seelenangst
man Weihwasser verspritzen konnte. Die Werkzeuge eines Exorzisten.
»Michela, meine Haushälterin, hat uns eine kleine Stärkung bereitet«, sagte Alvaro. »Ich denke, wir können alle eine Kleinigkeit gebrauchen.«
Auf einem Tisch standen Brot, Oliven, Antipasti und Käse. Außerdem zwei Karaffen mit Wasser und Rotwein. »Sie haben sicher nichts dagegen, wenn mein Sekretär dabei ist.« Alvaro zeigte auf Don Tomasso. »Er ist nicht nur mein Vertrauter, sondern auch Adlatus der Glaubenskongregation des Heiligen Stuhls und unterrichtet Dogmatik an einigen päpstlichen Universitäten. Mich hat er dort auch schon verpflichtet.« Er lächelte kurz. »Ich habe keine Geheimnisse vor ihm.«
»Wie Sie wünschen.« MacDeath legte Teile der Ermittlungsakte auf den Tisch. »Wir würden Ihnen gerne etwas von einem Fall erzählen, der uns in einigen Belangen … sagen wir mal, ratlos macht«, begann er. »Es geht um Ritualmorde. Möglicherweise um Satanismus. Vielleicht auch um Besessenheit, falls es so etwas gibt.«
Alvaros Augen funkelten, als MacDeath weitersprach. Tomasso hörte schweigend zu.
»Das Problem ist, dass wir uns bei den Ermittlungen auf dünnem Eis bewegen. Denn sobald wir mit möglichen übersinnlichen Themen ankommen, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit bei den Vorgesetzten.«
Alvaro nickte. »Oh ja, das kenne auch ich. Alle zweifeln, und in der Zwischenzeit breitet das Böse sich ungehindert aus. Die Macht des Teufels ist dort am größten, wo man nicht mehr an ihn glaubt.«
Er schenkte Wein und Wasser ein.
»Und wenn der Glaube schwindet, nimmt der Aberglaube zu.« Er machte eine Pause. »Besonders in vermeintlich aufgeklärten Zeiten wie diesen, in denen die Wissenschaft glaubt, alles erklären zu können, obwohl sich bei jeder Antwort, die die Forscher finden, gleich wieder tausend neue Fragen stellen. Aber kommen wir zu Ihrem Fall.«
MacDeath reichte Don Alvaro einige der Fotos über den Tisch. Die Augen des alten Exorzisten weiteten sich, als er die Bilder sah.
»Das ist das erste Opfer des Mörders«, sagte MacDeath. »Er hat ihm ein Schwert durch den ganzen Körper gebohrt, sodass es aus dem Mund wieder herauskam.« Er zeigte mit dem Finger auf eine Stelle des Fotos. »Könnte es sein, dass das Schwert, das aus dem Mund kommt, eine Bedeutung hat? Irgendeine Symbolik, die uns den Mörder besser verstehen lässt? Haben Sie eine Idee?«
Don Alvaro schaute beide nacheinander an.
»Aber ja«, sagte er. »Es ist der Engel mit dem Schwert. Aus dem ersten Buch der Offenbarung.«
»Der Engel aus der Offenbarung?«, fragte Clara.
»Der Evangelist Johannes hatte im Alter von fast neunzig Jahren auf der griechischen Insel Patmos eine Vision von Jesus Christus«, sagte Don Alvaro. »Eine Vision von der Zerstörung der Welt und dem Weltgericht. Jesus erscheint Johannes als Racheengel, der die Menschen richtet am Ende der Zeit.« Er gab Tomasso ein Zeichen. Der stand auf und holte eine großformatige Bibel aus einem der Regale. Alvaros Finger bewegten sich über den Text, als er den Abschnitt vorlas, aber Clara hatte den Eindruck, dass er jedes Wort auswendig kannte.
»Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot. Er aber legte seine Hand auf mich und sprach: Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.« Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert.«
»Er hat Gayo als Jesus Christus dargestellt?«, fragte Clara. »Und deshalb so getötet, wie er es getan hat?«
»Diese Erklärung liegt nahe. Und dadurch identifiziert der Täter sich selbst mit dem Widersacher«, sagte Don Alvaro. »Dem Satan. Was haben Sie noch?«
»Das ist Mandy Weiss«, sagte MacDeath. »Sie hat zwei Morde verübt. Einem Opfer hat sie mit einer Spitzhacke den Schädel eingeschlagen, das andere hat sie mit einer Nagelpistole erschossen, aus nächster Nähe. In beiden Fällen glich die Tat einer Hinrichtung. Wahrscheinlich hat Mandy Weiss auch den Mord an Gayo verübt, aber da liegen uns noch nicht alle Ergebnisse vor. Möglicherweise hat sie die Morde im Auftrag eines Mannes begangen, den sie den Drachen nennt.«
Tomassos Augenbrauen zuckten nach oben.
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