Seelenangst
ist.«
»Wir sind mit Hochdruck dabei«, sagte Hermann. »Denn wer immer es ist, er ist in höchster Gefahr.«
23
Es war so still in den Schweizer Bergen, dass man das Klirren von Eiswürfeln in einem Glas unten im Tal hören konnte. Die Berge und Täler gingen auf ihre ganz eigene, unberechenbare Art mit Geräuschen um. Ein Laut, der einen Kilometer weit entfernt zu hören war, konnte in ein paar Metern Entfernung kaum zu vernehmen sein. Und was anfangs leise war, konnte mit einem Mal sehr laut werden.
Zu dieser Stunde aber war es still.
Still, aber nicht friedlich.
Die schwarz gekleideten Gestalten hatten die Klinik umkreist. Sie hatten vorher einen Störsender aufgebaut, der Mobilfunksignale unterbinden konnte, und die Telefonleitung durchgekniffen. Dann waren sie in die Klinik vorgedrungen.
Lange Zeit war nichts zu hören gewesen.
Bis der Schrei erklang.
Er hielt mehr als zehn Sekunden an, um dann abrupt zu verstummen, sodass die plötzliche Stille fast so erschreckend war wie der Schrei selbst.
Zehn der schwarz Gekleideten hatten sich dem Pflegepersonal genähert, mit scharfen Messern bewaffnet, ähnlich wie die Entführer am 11. September. Die hatten Teppichmesser gehabt, die schwarz Gekleideten führten Jagdmesser bei sich. Es war eine im Grunde unzureichende Bewaffnung, aber manchmal half es schon, einfach nur entschlossen zu sein.
Allerdings durften sie die Arztkittel und die Kleidung der Schwestern nicht zu sehr mit Blut besudeln. Schließlich wurden die Sachen noch gebraucht.
»Der Meister wird sehr zufrieden mit uns sein«, sagte der Mann mit der schwarzen Brille und dem grausam zusammengekniffenen Mund.
Die schwarz gekleideten Männer und Frauen mit den bleichen Gesichtern und den funkelnden Messern verneigten sich ergeben.
Dann zog der Drache ein Prepaidhandy hervor, tippte eine Nachricht ein und schickte eine SMS ab:
Wir sind so weit.
*
Viele Kilometer entfernt sah der Fahrer der Limousine die SMS auf seinem privaten Handy. Unauffällig tippte er eine Antwort.
Wir sind unterwegs.
Er drehte sich zu seinem Fahrgast um.
»In zwei Stunden sind wir da«, sagte er.
Die Frau auf der Rückbank nickte.
Der Fahrer fügte hinzu: »Es wird Ihnen dort gefallen, Frau Venturas.«
24
Nach einer Stunde Fahrt hatten Clara und MacDeath die kleine Kapelle Santa Maria Immaculata im Herzen von Rom erreicht. Die Kirche stand auf einer Erhebung am Ufer des Tiber, gegenüber der Engelsburg, und bot einen Blick auf die mächtige Kuppel des Petersdoms.
Die Sonne ging unter. Ihr glühendes Licht tauchte den Platz, die Säulen und Türmchen in ein orangerotes Licht und verwandelte den Fluss in ein Meer aus Gold. Dieser sonnige Februarabend in Rom war sehr viel lieblicher als im grauen, trüben, noch winterlichen Berlin.
Alvaro de la Torrez wohnte in einem Gebäude neben der Kirche, von dessen Balkon aus, so hatte MacDeath einmal gehört, man einen der schönsten Ausblicke auf die Ewige Stadt genießen konnte.
Als sie den Hof betraten, kam ihnen ein groß gewachsener Mann Mitte vierzig entgegen. Seine Soutane war perfekt auf seine Figur zugeschnitten, sein Haar war dunkelgrau, und seine blauen Augen in dem schmalen, asketischen Gesicht musterten die Ankömmlinge mit scharfem Blick. Der Priester besaß den federnden Gang eines Menschen, der es gewohnt ist, Körper und Geist Höchstleistungen abzuverlangen. Vor Clara und MacDeath blieb er stehen und machte eine kurze Verbeugung.
»Sie suchen Don Alvaro, nehme ich an?«, fragte er und musterte die Gesichter der beiden. »Die Besucher aus Berlin?«
Clara und MacDeath nickten.
»Willkommen in Rom«, sagte der Mann und schüttelte ihnen die Hand. »Ich bin Tomasso Tremonte, Privatsekretär von Don Alvaro.«
Er zeigte zu der Kapelle, die er soeben verlassen hatte. »Er liest gerade die Messe. Aber gehen Sie nur hinein, es kann Ihnen ja nicht schaden.« Er lächelte.
Sie betraten den Kirchenraum. Nur langsam gewöhnten ihre Augen sich an das schummrige, von Kerzen nur spärlich erhellte Innere. In der Kapelle waren ein Dutzend Gläubige versammelt, zum größten Teil Frauen, die in Erwartung der Eucharistie niedergekniet waren.
Clara und MacDeath stellten sich in den hinteren Teil der Kapelle und schauten zu, wie Don Alvaro die Messe zu Ende las. Als die Gläubigen die Santa Maria Immaculata verließen, führte Tomasso Tremonte sie nach vorn zum Altar, wo Alvaro behutsam den Kelch und das Gefäß für die Hostien reinigte. Tomasso beugte sich zu dem alten
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