Seelenasche
Freudentanz hören.
»Das sind doch keine Umstände, ich schau mir einfach nur dein Spektakel an. Also, machâs gut!«
Klick!
Er hatte es gerade geschafft, sich nach dem Auflegen eine Zigarette anzuzünden, da meldete sich der Wachpolizist von der Pforte. Er wäre fast vom Stuhl gefallen, als der ihm mitteilte, Neda sei unten und warte im Foyer. Ausgerechnet sie, die das Fernsehen bis aufs Blut hasste, war gekommen, um ihn am Altar seines blasphemischen Ruhms aufzusuchen. Jetzt hatte er also endlich die Gelegenheit, ihr die Eingeweide dieses Ungeheuers zu zeigen, das schwindelerregende Gehetze auf den Fluren, das Rein und Raus in den Studios, den nervenzermürbenden Termindruck â kurz, sie mit diesem ganzen Wahnsinn zu konfrontieren, der nicht bloà der individuelle Tick ihrer Neurotiker, Phobiker und Schizophrenen war, sondern ein Wahnsinn von gröÃerem Format, nämlich der Wahnsinn des menschlichen Voyeurismus! In diesem Gebäude war das magische Labyrinth der Welt eingeschlossen, hier verlor man die Vorstellung von Anfang und Ende, von Zeit und Ort der Handlung, denn dies war ein soziales Kaleidoskop, in dem die bunten Glassplitter von Vergangenheit und Zukunft, von fiktiv und real, von dokumentierter Gewalt und bevorstehendem Krieg durcheinanderrieselten.
»Ich muss mit dir reden.« Ihre Stimme war so angespannt, dass sie ganz dünn klang. »Lass uns drauÃen irgendwo hingehen.«
»Aber das geht jetzt nicht«, erwiderte Jordan, »ich hab gleich Live-Sendung.«
»Es ist aber wichtig. Diesmal ist es wirklich wichtig ⦠für uns beide!«
»Ich teile deinen Wunsch ja, aber können wir das Gespräch nicht auf heute Abend vertagen? Du kochst uns was, und ich bring eine Flasche Wein mit. Einverstanden?«
»Heute Abend habe ich schon einen Termin. Der Institutsleiter hat endlich Zeit, um über meine Dissertation mit mir zu sprechen.«
Ihr Ungeschick im Lügen war bewundernswert. Jordan konnte es nur noch mit der ärgerlichen Gewohnheit seines Chefs vergleichen, gutwillig zu erscheinen. Ja, Neda und sein Chef, das waren die beiden moralischsten Menschen, die er kannte. Sie waren unbarmherzig im Aussprechen ihrer Geringschätzung für die anderen. Weder Neda noch Gospodinov mochten die Menschen in ihrem Umfeld, und dadurch waren sie auch mit sich selbst ständig im Unreinen. Er hatte den Eindruck, dass ihn beide genau deshalb ausgerechnet heute kontaktiert hatten, weil er sie genau heute absolut nicht gebrauchen konnte. Sie wollten ihm einfach nur ihr Nichteinverständnis signalisieren, und dies exakt in dem Moment, in dem er konzentriert und unbehelligt in sich ruhen musste. In zwölf Minuten begann seine letzte Chance, den Runden Tisch zu retten, und mit ihm seine Aura des notwendigen, des unersetzlichen Idols. Er war sich intuitiv sicher, dass Neda ein Treffen mit Grischa hatte, dem Heiler ihrer familiären Kälte und Entfremdung. Der kurzsichtige Psychiater war in der Lage dazu, sie zu heilen, weil er sie liebte; Neda körperlich, und ihn platonisch und aus dem Gefühl männlicher Stärke heraus.
»Ich denke, ich weiÃ, was du mir sagen willst«, warf er ihr hin, »aber ich kann den Runden Tisch nicht für eine deiner Spontanideen opfern!«
Ihre Antwort konnte er akustisch nicht mehr verstehen, denn der andere Apparat am Fenster klingelte. Er hob ab.
»Ja«, sagte Jordan. »Nein, Jordan Weltschev ist nicht da ⦠Auf Dienstreise ⦠Rufen Sie am Montag wieder an.«
11
Die letzte Zigarette rauchte er auf dem Klo; er musste jetzt einfach allein sein. Der Wasserhahn tropfte beruhigend. An der Toilettenwand hatte jemand den Fernsehturm als riesigen Phallus gezeichnet.
Das Studio betrat er angespannt, fast unglücklich. Es war dann der Geruch im Studio, der ihn auf Touren brachte, sein untrügliches Gespür für das richtige Timing weckte, das ein so zerbrechliches dramaturgisches Gebilde wie ein Gespräch brauchte, um sich entfalten und wirken zu können. Die ganze Zeit hatte er das Gefühl, der Chef beobachte ihn voller Misstrauen direkt aus dem Auge der Kamera, vermutlich schon wieder unzufrieden mit seinem eigenen, vor kaum einer Stunde gezeigten Wohlwollen. Sein kleiner Finger sagte ihm, dass er Gospodinov diesmal gefiel; die Sendung war frisch und voller interessanter Wendungen. Sie begann mit dem geozentrischen System des Ptolemäus und dem klassischen
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