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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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ein bisschen Glück im Unglück hatten. Das Wasser schien schwerer zu werden da draußen, salziger, schwarz am Ende. Er versuchte, sich an Emilia zu erinnern, sich an sie zu klammern. Sie, die über so viele Jahre seine Gedanken bei Tage und des Nachts beschäftigt und ihn bis in seine Träume hinein verfolgt hatte, hatte ihn plötzlich und spurlos verlassen, so als sei sie nur ein Zeichen im Sand gewesen, von der letzten Flut fortgespült. Sie war nicht gegangen, nein, sie war ausgelöscht! Sie hatte ihn freigegeben, und er hatte sie sofort vergessen. Er mühte sich, ihre Züge zusammenzusetzen, die biegsame Schwere ihres Körpers, ihren Gang, versuchte, die ach so bekannte Lähmung zu empfinden angesichts dieser unerfüllbaren Sehnsucht, doch auch sie – ausgelöscht aus seinem Gedächtnis, ausgelöscht auch die Wunde, die sich nicht hatte schließen wollen. Nun war sie nur noch eine ganz normale Frau, die langsam hinüberglitt von den Reifejahren in die des Alters. Er begann zu lachen, inbrünstig, wimmernd, selbstvergessen; denn er war wieder verliebt. Diesmal für immer, das fühlte er! Auch diesmal rein und voller Hingabe, und genauso wundervoll und hoffnungslos wie in einer altgriechischen Tragödie.
    Er spürte, wenn er weiter hinausschwamm, würde er sich aus der Umarmung des Meeres nicht mehr befreien können. Gut, dass der Leuchtturm ihm schon zuzwinkerte, gleichzeitig dastehend wie ein mahnend erhobener Zeigefinger, der ihm den Weg wies. Bald gingen auch in der Stadt die Lichter an. Und schließlich kamen die Sterne heraus, aufgequollen, als teilten sie seine übermenschliche Qual. Es musste schon um die zehn Uhr abends sein, als er das Ufer erreichte und mit letzter Kraft den Felsen erklomm. Vor Erschöpfung verlor er fast das Bewusstsein. Eingetaucht ins Dunkel, und in ihr Badehandtuch gehüllt, hatte Dessislava auf ihn gewartet.
    Â»Was ist denn mit dir los, mein Lieber? Ich verstehe rein gar nichts. Wo warst du?«
10
    Er war ungewöhnlich gekleidet. Der schwarze Anzug sah an ihm dezent »trauerfallmäßig« aus, hatte aber auch die Anmutung von aristokratischem Ennui, von Dekadenz. In diesem Dress sah er einmal nicht wie ein Playboy aus, jung und erfolgreich, der geschmäcklerisch durchs Leben lief nach der Devise: Was kostet die Welt?! Nein, jetzt ging er durch als besorgter Mensch, der ein fremdes Haus betrat, um etwas Vertrauliches von hohem Wert mitzuteilen, bereit, einen Teil von der Ungerechtigkeit, Ohnmacht und Schuldbeladenheit dieser Welt auf die eigenen Schultern zu nehmen. Heute sollte alles anders sein! Er schaute Sima an, um Zeichen der Veränderung an ihr zu entdecken, doch das Telefon schrillte dazwischen: der Chef! Gospodinov mühte sich, liebenswürdig auszusehen, was faktisch so viel bedeutete, dass er von seiner Entscheidung, den Runden Tisch einzustellen, noch keinen Schritt abgerückt war.
    Â»Kommst du Freitag auf den Platz?«, fragte er munter.
    Â»Wenn du und deine unnachahmliche Rückhand auch da sind.«
    Â»Naidenov und der Pekinese meinen, sie würden uns auch im Doppel putzen.«
    Â»Naivlinge, Chef, denen hauen wir die Bälle um die Ohren. Wir ergänzen uns doch ideal! Ich am Netz, du holst hinten die langen Bälle raus – da sind wir unschlagbar.«
    Â»Hm, hoffentlich. Hab einen Kasten Bier gewettet.«
    Â»Kannst getrost auch dein weises Haupt setzen.«
    Â»Nur die Ruhe, habe schon deins gesetzt. Regnet’s bei euch?«
    Seltsame Frage, waren sie doch nur durch hundert Schritte und ein bisschen Gedrängel auf dem Flur voneinander entfernt; aber der Ressortleiter wusste in der Tat nicht, welches Wetter draußen war. Die heruntergelassenen Jalousien trennten ihn von der Realität und schlossen ihn in eine virtuelle Welt ein, die er selbst euphemistisch »den Puls des Planeten« nannte. Genau genommen, hatte er wohl gerade seine Blutdruckpillen geschluckt und war dabei, sich den Puls zu messen.
    Â»Es zieht sich zu.«
    Gospodinov schwieg unbestimmt. Vermutlich griff er jetzt in seine Pralinenschachtel, denn kurz darauf füllte sich die Leitung mit dem klebrigen Schmatzen seiner unschuldigen Oralorgie.
    Â»Hör zu, Kleiner«, nuschelte der Chef sanft, »in einer halben Stunde seh ich mir an, was du zusammengefriemelt hast.«
    Â»Nur keine Umstände, Chef!« Jordan hatte panische Angst, der Chef könnte seinen inneren

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