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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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wollenen Morgenmantel mit Seidenkragen und hatte sich zusätzlich bis über die Nieren in eine dicke, karierte Wolldecke gehüllt. Über seinen Knien vibrierte es, als wäre ihm kalt, immer nur kalt, so warm er sich auch anzog. Dabei war die Wohnung mehr als gut geheizt, so gut, dass die Fenster beschlagen waren. Sein Onkel Alexander rauchte nachdenklich. Der aromatische Qualm stieg auf und breitete sich über die frisch mit Latexfarbe gestrichenen Wände aus.
    Â»Schaut mal, wen ich euch da bringe«, sagte seine Tante Ljuba lauter als nötig.
    Â»Ach, der gute Krum Krumov höchstpersönlich«, lächelte sein Onkel Alexander matt.
    Â»Und wenn er jetzt auch noch diese sagenumwobene dicke Korbflasche anschleppt mit feurigem Roten, der die Sonne im Leib hat, dann steigt der Wert seines Besuchs ins Unermessliche!« Professor Kotzev redete ebenfalls lauter als nötig. Genau diese gespielte lärmende Geselligkeit sollte ihre empfindlich brennende Furcht übertönen, die sie angesichts dieser sich anbahnenden Zerstörungen an allen Ecken und Enden des Landes empfanden, und die auch für sie nicht folgenlos bleiben konnten. Selbst auf dem Bildschirm war zu erkennen, was für ein Hexenkessel das da war im Herzen von Sofia.
    Â»Ich frag mich bloß«, seufzte Kotzev, »was unsere Generäle machen. Wozu haben wir sie eigentlich die ganzen Jahre durchgefüttert?« Eine ohnmächtige Grausamkeit schwang bei diesen Worten in seiner Stimme mit, Ausdruck ungezügelter Angst. Die Augen des Alten bekamen dabei wieder diesen gefährlich gerührten Ausdruck.
    Â»Ha’m sich in ihren gemütlichen Büros in die Hosen geschissen, und jetzt warten sie darauf, dass einer ihnen den Arsch abwischt«, pflichtete ihm Ljubas Mann, sein Onkel Alexander, beflissen bei.
    Â»Ganz genau, haben vor Schiss die Lampassen-Buxen runtergelassen, und jetzt soll die Partei ihnen die Hintern abputzen!«
    Â»So einfach ist das nicht«, mischte sich seine Tante schüchtern ein. Sie stellte den Ton leiser und alle atmeten auf.
    Â»Was ist nicht einfach?«
    Â»Na, das Ganze, Vater.« Krum sah, wie seine Tante verlegen Richtung Fernseher nickte.
    Kotzevs Miene verfinsterte sich. Er zog die Wolldecke höher, sagte aber nichts.
    Â»Was macht dein Herr Papa?«, wandte sich Kotzev nun mit falscher Liebenswürdigkeit an Krum.
    Â»Leidet«, antwortete Krum leise.
    Â»Kann ihn nur zu gut verstehen, wir alle sind sprachlos.«
    Â»Hat einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich noch längst nicht erholt hat. Er kann kaum sprechen, will aber schon Partisan werden.«
    Â»Wie die Dinge laufen, müssen wir das scheint’s alle werden«, pflichtete Kotzev bei, obwohl er nicht danach aussah, als hätte er noch die Kraft, auf Barrikaden zu steigen. Genau das aber machte seine Aussage so gefährlich.
    Â»Na, so weit wird’s wohl nicht kommen«, beschwichtigte sein Onkel und drückte mit eleganter Geste seine Zigarette im Aschenbecher aus. Er rauchte Marlboro 100, Softpack.
    Â»Wie weit?« Kotzev nahm sich eine der Marlboros von seinem Schwiegersohn und begann, tatendurstig auf deren Filter herumzukauen, gab sich aber kein Feuer.
    Â»Nun ja, dass wir auf die … eh … Barrikaden … eh … müssen!«
    Â»Und der gute Assen hat nichts Besseres zu tun, als dummes Zeug über die Demokratie zu schreiben. Hier … haben wir doch eben gesehen, wohin uns die Demokratie bringt!«
    Â»Welcher Assen?«, fragte Krum schwer von Begriff. Anscheinend hatten sie es diesen Abend alle mit dem Fragen!
    Â»Professor Assen Weltschev, dein anderer Onkel.«
    Â»Warum trinkt ihr nicht einfach ein Glas Wein«, meldete sich Ljuba mit einem Vorschlag zur Versöhnung.
    Flink richtete sie sich auf, holte Karaffe und Gläser aus der Wohnzimmervitrine, als gäbe es hier etwas Hocherfreuliches zu feiern, oder als handle es sich um einen uralten Brauch, mit dem sich ihre Sippe in Krisenzeiten zuverlässig wieder zusammenraufte. Krum wunderte sich über die festlich aussehende Karaffe mit ihrem geschliffenen Kristallglas, fragte sich: Wozu dieser Aufwand? In diesem Augenblick kam ihm die Erleuchtung, dass er nicht länger hierbleiben konnte, sondern schleunigst verschwinden musste. Er trank einen Schluck von seinem eigenen Wein, lächelte verlegen, wurde das Gefühl nicht los, dass es nur so und nicht anders sein konnte, und stand

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