Seelenasche
machte, nicht verbergen.
Dessislava geleitete ihn bis zur Haustür. Sie sah ganz im Gegensatz zu Christo höchst betrübt, ja, betroffen aus.
»Du siehst immer mehr wie ein Bär aus«, lachte sie leise.
»Manche sagen, ich werde meinem Vater immer ähnlicher.«
»Ach, Blödsinn, Onkel Krum sieht doch viel besser aus als du.« Sie ging auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Stirn. »Komm doch öfter vorbei, mein Lieber, du bist immer herzlich willkommen in diesem Haus.«
Als er ins Freie trat, schien die Luft auskristallisiert zu sein, so hart war sie geworden. Das Licht verwaschen und kraftlos. Das Leben hinter Rauchglas erstarrt. Die StraÃe war leergefegt. Im Laufschritt erreichte er schon bald den neobarocken Prunk der Universität und ⦠spürte auf einmal, dass die Demonstration zu Ende, die Menschen nach Hause gegangen sein mussten. Auch die Beamten von der Volksmiliz waren verschwunden. Mit dem Gefühl, dass es nur so und nicht anders sein konnte, ging Krum weiter in Richtung Markthallen. Die Empfindung, zu spät zu kommen, war nun unerträglich geworden, obwohl er ja gar kein Ziel mehr hatte. Der letzte Zug nach Widin war am Nachmittag um halb vier gefahren, und der erste Frühzug würde um fünf nach sechs gehen. Den Zug um elf Uhr hatte er sich aus Höflichkeit ausgedacht. Er musste also die ganze Nacht auf irgendeiner harten und unbequemen Bank im ungeheizten Wartesaal des Hauptbahnhofs verbringen. Doch sosehr er auch mit dem Fuà auf die fleckigen Marmorplatten trommeln würde; an seiner Verspätung war nichts mehr zu ändern.
Das Erste, was Krum Krumov am nächsten Tag nach seiner Ankunft in Widin tat, war, ins Bezirkskomitee zu gehen. Die Verwaltungsangestellte wollte ihren Augen nicht trauen und schaute ihn an, als ob er sie nicht alle auf der Reihe hätte. Jetzt, wo alle massenhaft aus der Partei austraten, ja, ihre Parteibücher zerrissen, kam dieser stämmige, seltsam schöne Mann mit dem kindlichen Gesichtsausdruck an und bat darum, wieder in die BKP aufgenommen zu werden, aus der er sich doch durch seinen Protest und aufgrund der verbalen Freiheiten, die er sich herausgenommen hatte, quasi selbst ausgeschlossen hatte.
8
Für ihr Treffen hatten sie sich das ehemalige Café Bambus ausgesucht. Durch die Jahre hatte diese emblematische Gaststätte ihren Glanz verloren. Die Decke war verräuchert, die aus Bambus geflochtenen Wände und Lampenschirme waren hoffnungslos spröde geworden, die Bar kam ihr ramponiert vor, die Glasfront zur Platzseite so schmuddelig, dass das Licht Mühe hatte, seinen Weg hindurchzufinden. Ein schwaches, milchiges Licht war das, so als befände man sich in einem Aquarium. Das neobarocke Gebäude, das sich über dem Café erhob, hatten sie zu einem Hotel für hochrangige Militärs gemacht, daher war der Gastraum voller Offiziere mit ihrem Geruch nach Rasierschaum und billigem Rasierwasser. Man vermeinte sogar den Hauch gewienerter Lederstiefel und gedrillter Unterwürfigkeit zu erschnuppern. Die Stimmen waren nicht minder seltsam. Sie klangen unpersönlich und verhalten, aber gestützt von einer gespielten Schneidigkeit und ungenutzten Tapferkeit.
Als sie hereinkam, zog sie sofort die Blicke aller auf sich. Im Café wurde es still, und ein Leuchten schien es von innen zu erhellen. Die geblendeten Uniformträger mussten blinzeln, die Majore standen da mit offenem Mund. Sie stellte also noch immer etwas dar, war noch immer jemand, an den man sich erinnerte: die Weltscheva . Emilia setzte ihr schönstes Lächeln auf, jenes, das vielversprechend war, aber auch jene respektvolle Distanz schuf, wie es einer unsterblichen Frau entsprach, die man nicht besitzen konnte. Da sah sie Theo Sotirov, klein wie ein Kind, hutzelig und überrollt vom politischen Wandel; von seiner einstmaligen Pfauenhaftigkeit war nichts geblieben. Im Unterschied zu ihr schien ihn niemand zu kennen, zu erkennen; unbehelligt von schiefen Blicken konnte er sich mit seiner Nagelfeile, deren Griff die Form des Eiffelturms hatte, die Nägel auf Vordermann bringen. Einer wie Theo konnte bei den gegenwärtigen Veränderungen nur unter die Räder kommen. Er war erledigt, schlimmer noch: lebendig begraben!
Schon bevor am 10.âNovember 1989 der langjährige starke Mann Bulgariens, Todor Shivkov, seiner Ãmter enthoben wurde, hatte man ihn als Rektor der Schauspielakademie
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