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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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helle Steinquader der Bulgarischen Nationalbank. Es war eingerichtet in heller Eiche und vollgestellt mit Geschenken der sowjetischen Parteigenossen. Hinter dem Schreibtisch hing in goldenem Rahmen das Porträt Todor Shivkovs, der darauf einladend lächelte. Nikoltschin war taub auf dem rechten Ohr; auf seiner Nase hing eine Brille mit fingerdicken Gläsern. Er machte aber den erfreulichen Eindruck eines besorgten Menschen, eines Parteifunktionärs der alten Generation, der redlich und unbestechlich war, Weisungen getreulich ausführte und wie durch ein Wunder nicht nur die Zeiten überdauert, sondern auch in der parteiinternen Hierarchie erstaunlich weit nach oben gekommen war. Er sah aus, als hätte er Zahnschmerzen oder müsse gerade etwas erledigen, das er zutiefst verabscheute.
    Â»Ich komme geradewegs aus Russe«, stellte sich Krum jovial vor und streckte Nikoltschin die Hand zum Gruß hin. Dieser forderte ihn in einem Ton, als habe er seit Tagen nichts anderes getan, als zu warten, wann der Verspätete endlich eintraf, auf:
    Â»Na dann, Genosse Marijkin, schießen Sie mal los. Ich höre. Was ist da bei Ihnen los, in Russe?«
    Krum machte es sich in dem mit Kunstleder bezogenen Sessel bequem, richtete seinen Krawattenknoten und stellte die bauchige Korbflasche zwischen seinen Beinen ab. Sein Bericht war ebenso ausführlich wie emotional, obwohl er sich bemühte, nicht zu übertreiben; er ließ allerdings keine Einzelheit aus, die die Partei der »Gleichgültigkeit und sträflichen Tatenlosigkeit« überführte. Er schloss flammend, mit mühsam beherrschter Stimme:
    Â»Inzwischen erkranken schon Kleinkinder an schweren Atemwegsdefekten, und das heißt, es müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden.«
    Â»Also dein Kind …«
    Â»Ich habe keine Kinder«, korrigierte ihn Krum.
    Â»Wieso, Genosse Marijkin, wieso dann der ganze Aufstand?«
    Â»Aber in Russe wimmelt es nur so vor Kleinkindern.«
    Â»Entschuldigung, wir arbeiten hier an der Perestrojka, denken darüber nach, wie wir am besten Glasnost und Perestrojka … ein neues Denken … große Veränderungen … und da kommt einer mit der schlechten Luft im Städtchen Russe, und hat noch nicht mal selbst Kinder!«
    Nikoltschin begann zu rauchen. Seine Fingerspitzen waren bräunlich verfärbt vom Tabak, zumal er eine billige, filterlose Marke rauchte. Nervös. Hastig. Süchtig fast. Blind wie die Hitze da draußen.
    Â»Es muss aber etwas getan, es muss entschieden eingeschritten werden«, beharrte Krum mit wachsender Missbilligung.
    Â»Wir sind hier mit dem Problem bestens vertraut. Alle im ZK wissen Bescheid, sogar das Politbüro ist informiert, auch der Genosse Shivkov persönlich. Er hat dem Genossen Ceauşescu selbst vorgeschlagen, dass wir die Filteranlagen kaufen und in dieses marode Werk einbauen, aber von den rumänischen Genossen hieß es, das Werk könne leider seinen Produktionsprozess nicht unterbrechen. Aus strategischen Gründen! Sie sehen, Genosse Marijkin, wir befassen uns hier intensiv mit dem Problem, aber leider …«
    Â»Ich fahre morgen nach Russe zurück und brauche eine klare Antwort.«
    Â»Na, hören Sie mal, was glauben Sie denn, wer Sie sind? Und was wollen Sie speziell von mir? Sind Sie sich eigentlich klar, was Sie da von uns verlangen? Wir sollen wegen so einer Abgaswolke Rumänien den Krieg erklären, einem Brudervolk! Wollen die Mütter in Russe das vielleicht? Wegen Husten in den Krieg ziehen? Der Genosse Ceauşescu befasst sich persönlich mit der Sache, aber …« Er blies geräuschvoll den Rauch aus und bekam einen Hustenanfall. »… Sie, verstehen Sie überhaupt?«
    Â»Sie wollen also nichts unternehmen?«
    Â»Luftverschmutzung, ökologische Probleme – ich kann Ihre Empörung ja gut verstehen, aber wir müssen diesem Volk ja auch irgendwie Nahrung und Kleidung sichern, Schuhe, Ausbildung, Wohnungen für die Werktätigen, Fabriken, um Arbeitsplätze zu schaffen, damit die Kinder eine Zukunft haben. Und Sie, Sie kommen daher – kinderlos!«
    Â»Ich verstehe sehr gut: Sie wollen sich nicht für unser Anliegen einsetzen.«
    Â»Was soll ich denn ausrichten? Wer bin ich denn? Und du erst, wer bist du denn, frag ich dich?«
    In diesem Moment schrillte eines der vier Telefone auf seinem Schreibtisch. Nikoltschin fuhr zusammen. Der Zorn in

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