Seelenasche
darin. Christo schien gerade dasselbe zu denken, denn er seufzte.
»Und was macht dein Mann?«
»Seit er in dieser Krimiserie Gegenschlag mitspielt«, antwortete sein Vetter an ihrer Stelle, »benimmt sich Sim, als sei er ein Gott weià wie groÃer Schauspieler, und alle groÃen Schauspieler sind im Handumdrehen groÃe Demokraten geworden. Er ist aktiv in der UDK, der Union der demokratischen Kräfte, hat bei einem Runden Tisch mitdiskutiert â als politischer Vertreter! â, und im Moment ist er auf der Demonstration, die sie da in der Glotze zeigen.«
»Werd nicht gallig«, lächelte Dessislava.
»Na, noch im Frühjahr hat er zum zweiten Mal versucht, in die Kommunistische Partei einzutreten ⦠Die Partei hat seinen Beitrittsantrag abgelehnt â und jetzt demonstriert er auf einmal gegen die Roten!«
»Christo, nun übertreib mal nicht so.« Sie zog einen ihrer Riesenpantoffeln aus und kratzte sich die nackte Ferse.
»Dabei haben mein Vater und mein GroÃvater ihm noch Empfehlungen geschrieben.«
»Was willst du eigentlich«, drohte ihm Dessislava mit dem Zeigefinger. »Alles an Sim ärgert dich derart, dass du immer den Ãberlegenen spielen und kräftig austeilen musst. Ich bin immerhin mit ihm verheiratet, vergiss das nicht!«
»Ich bin einfach empört! Ich kann Leute nicht ertragen, die ihr Fähnlein nach dem Wind hängen.« Als er merkte, dass man ihm seine Entrüstung nicht abkaufte, fügte er hinzu: »Nicht dass ich ein groÃer Moralapostel wäre, derlei Engstirnigkeiten sind mir fremd. Aber irgendwo muss auch Dreistigkeit ihre Grenzen haben.«
»Ich hab Hunger, Hunger auf Salat«, warf Dessislava ein. »In der Küche gibt es saure Gürkchen, die könnte ich uns schnippeln für ⦠so als Beilage zum Wodka.«
Als seine Cousine hinausgegangen war, kam ihm das Halbdunkel im Wohnzimmer irgendwie düsterer und beklemmender vor. Ein vielsagendes, bedrückendes Schweigen trat ein. Plötzlich fragte Christo scharf:
»Du ⦠warum bist du eigentlich hergekommen?«
»Wie schon gesagt, ich wollte mit Onkel Assen reden«, erwiderte Krum überrumpelt.
»Also nicht wegen deiner lieben Cousine, oder etwa doch?«
»Wie â wegen Dessi? Ich verstehe nicht â¦Â«
»Dann herzlich willkommen.« Christo seufzte erleichtert, blies den Rauch seiner Zigarette gegen die Tischlampe und brach in ein kurzes, hysterisches Gelächter aus. Es war ein bleiches, spukhaftes Licht, das da durch den Wachspapierschirm drang.
»Ich sag dir jetzt etwas, das du von Onkel Assen niemals hören wirst, und auch sonst von niemandem. Mit dem Sozialismus ist es aus und vorbei! «
»Wie jetzt?« Krum bekam den Mund nicht zu vor Ãberraschung.
»Ich wiederhole es dir noch einmal langsam und Wort für Wort, damit du es gut behältst: Mit dem Sozialismus ist es aus und vorbei.«
Er grinste unverschämt, als wolle er ihn auf die Schippe nehmen. Dabei sprach er aber nicht mit der Stimme eines Menschen, der nach langem Nachdenken und durch viele Beobachtungen und Informationen zu diesem Schluss gelangt war, sondern wie einer, der vollkommen überzeugt war von dem, was er sagte, weil es ihm von höchster Stelle mitgeteilt worden war. Krum überlief ein kalter Schauer.
In diesem Moment kam Dessislava herein mit ihrem versöhnlichen Lächeln und einer Platte jenes im Krieg angeschlagenen echten Meissener Porzellans, das ihre Mutter Emilia zu einem sündhaften Preis von Georgi Pantov, ihrem Antiquitätenhändler und seinem dritten Sofioter Onkel, gekauft hatte. Auf der ovalen Servierschale lag eine ganze Portion kleingeschnittener saurer Gurken.
»Also vergiss das nicht«, betonte Christo noch einmal voller Abscheu.
Mit dem Gefühl, dass es nur so und nicht anders sein konnte, stand Krum auf, zog seinen von Dessislava nachlässig aufs Kanapee geworfenen Schlechtwettermantel an, kippte seinen Wodka hinunter, wischte sich den Mund ab und sagte schlicht:
»War schön bei euch, aber ich muss wieder!«
»Ja, wohin denn?«, fragte Dessislava verdutzt. »Ich lass dich doch nicht in diese Kälte raus, mein Lieber.«
»Der letzte Zug nach Widin geht um elf Uhr fünfzehn vom Hauptbahnhof ab«, sagte Krum in heiterem Ton.
»Du reist also ab?« Christo konnte seine Befriedigung und seine Freude darüber, dass Krum sich vom Acker
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