Seelenasche
auf.
»Ich muss wieder â¦Â« Seine Stimme klang verdächtig fest und beschwingt.
»Wie das denn plötzlich? Du schläfst natürlich bei uns«, wahrte sein Onkel Alexander mit Mühe die Gebote der Gastfreundschaft.
»Ich hab Hackfleisch für Fleischbällchen gemacht«, hakte Tante Ljuba zur Unterstützung ein, aber Krum war schon im Hausflur. Ihm war schwindlig. Er küsste seine Tante auf die Stirn, und dann legte er ihr verschwörerisch einen Finger auf ihre verzeihend, aber melancholisch lächelnden Lippen.
7
Die Kälte drauÃen überraschte ihn, als wäre er im Dunklen vor eine Metalltür gelaufen. Er bog ab Richtung Graf-Ignatiev-StraÃe und verfiel in einen Laufschritt, als sitze ihm der heiÃe Atem der Demonstrantenmeute im Nacken. Und dann dieses hinterhältige Gefühl, als hätte er ein entscheidendes Treffen verschwitzt, als sei er zu spät, hoffnungslos, unwiderruflich zu spät, zu spät. Die Ampel an der StraÃenecke beim Denkmal des Patriarchen Ewtimi sprang auf Rot, aber er hielt nicht an. Er wusste, wenn er jetzt seinen Schritt auch nur verlangsamte, auch nur ein Fitzelchen seiner übertriebenen Zielstrebigkeit aufgab, würde er es nicht bis zu seinem anderen Onkel, Assen Weltschev, schaffen. Dann würde er auf den menschenleeren Boulevard einbiegen, und nichts mehr würde ihn davon abhalten können, sich den demonstrierenden Massen anzuschlieÃen, die sich zu Abertausenden vor dem Parlament die Freiheit erzitterten. Ãbergossen vom bläulichen Schein der Neonlaternen, kam ihm die Stadt klinisch tot vor, ein Zoo für Zombies, doch selbst bis in diese von Gott und dem Leben verlassenen NebenstraÃen drang etwas von dem Magnetismus, dem Taumel, dem Fieber, der Verzückung, dem lebendigen Aufbruchsgefühl der Menge auf dem Platz.
Als er in die Ljuben-Karawelov-StraÃe einbog, war er zwar auÃer Atem, aber er hatte sich wenigstens warm gelaufen. Blitzschnell verschwand er im Hauseingang. Die Luft war abgestanden und roch nach Keller, Sauerkohl und Zwiebelschmalz. Er musste dreimal klingeln, bevor er endlich von innen schlurfende Pantoffelschritte hörte. Die Pantoffeln waren eindeutig zu groà für die FüÃe, die sie trugen. Die Tür ging auf, und durch den Spalt schaute ihn der verwunderte Blick seiner Cousine Dessislava an. Ihre fragende Miene schmolz dahin wie Wachs, als sie ihn erkannte, und formte sich zu einem Lächeln, einem einladenden Lächeln.
»Nee, das kann jetzt nicht wahr sein«, sagte sie, »du? Komm rein! Aber sofort.«
Im Wohnzimmer herrschte wohlige Wärme. Der Duft amerikanischer Zigaretten und verwöhnter Frau hing in der Luft. Die zugezogenen Vorhänge verbreiteten die Müdigkeit eines Stoffs, der immer nur verbergen sollte. Nur die drei Tischlampen brannten, und im Lichtkegel der einen saà sein Vetter Christo Weltschev. Der Fernseher lief, es wurde immer noch die Demonstration übertragen. In Krum verwirbelten sich Gefühle des Glücks und der Niedergeschlagenheit bei der Vorstellung, dass diese Massenversammlung nie enden würde.
»Wo ist denn die Korbflasche«, grinste Christo gehässig, »die ist dir doch sonst immer einen Schritt voraus?«
»Die hab ich bei deinen Eltern auf der Iwan-Schischman-StraÃe gelassen«, antwortete Krum, ohne den Beleidigten zu spielen.
»Du warst bei meinen Eltern?«
»Wir trinken hier sowieso Wodka«, mischte sich Dessislava ein. »Christo hat eine Flasche Smirnoff mitgebracht.«
»Und warum bist du nicht auch dageblieben, bei deiner Korbflasche?«
Krum merkte, dass es diese peinigende Frage gewesen war, die ihn auf dem ganzen Weg getrieben hatte, ohne dass er eine Antwort darauf fand.
»Ich wollte mit Onkel Assen reden.«
»Vati ist nicht da«, sagte Dessislava und lächelte beschwichtigend und sanft, »er ist im Häuschen, in Simeonowo. Mama hat Vorstellung, und Jordan ist noch im Sender.«
Krum setzte sich auf den Platz neben der zweiten Tischlampe, und Dessislava reichte ihm ein Glas mit Wodka, in das sie drei Würfel Eis getan hatte. Er nippte an dem ungewohnten Trunk und hustete. Sie musste lachen, sichtlich glücklich, mit all ihrer Schönheit und all ihren Sommersprossen. Ihre Augen hatten wie immer einen verträumten Ausdruck voller Fürsorglichkeit und Hingabe. Das beruhigte ihn. Blau waren diese Augen, tiefblau, man versank so schön
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