Seelenasche
geschmolzen, zäh, schimmernd, von der Farbe eines leeren Spiegels. Eine alte Zigeunerin starrte so traurig auf den Fluss, als ob mit dem letzten Schleppkahn auch die letzte Perle von der Kette ihres kunterbunten Lebens gerutscht war. Sie rauchte Pfeife. Ihre Tochter trug alte, bunte Spitzenkleider und beugte sich zum Waschen über die Holzwanne. Ihre Brüste lugten aus dem Ausschnitt hervor, braun getönt und quirlig, ihre Strassperlenkette klackerte, von den eingeseiften Kleidern stieg Dampf auf. Ein Mann mit flackernden Augen, knotigen Händen und offen stehendem, zahnlosem Mund machte gerade Pause vom Häuten des Lammes, das sein Vater bei ihm bestellt hatte, und zündete sich mit Feuerstahl und Zunder eine aus Zeitungspapier gerollte Zigarette an. Das Lamm hing an einem Fleischerhaken mit dem Kopf nach unten. Er erinnerte sich deutlich an das Schlachtermesser mit den getrockneten Blutspuren, an den stumpfen Laut beim Setzen der Schnitte und das klebrige Geräusch beim Abziehen der Haut, unter dem bläulich, nackt und wehrlos das Fleisch des kleinen Schafs zum Vorschein kam. Alexander ekelte sich schrecklich vor diesem erniedrigenden Anblick des Todes, der irgendwann uns allen das Fell abzieht. Sein Vater streichelte ihm beruhigend über den Kopf und kaufte ihm auf dem Festplatz im Uferpark eine Okarina aus Ton. Der kleine Alexander aber konnte nicht eher aufhören zu weinen, bis seine Mutter ihn in die Arme nahm und ihn in dieser symbolischen Gebärmutter vor der Welt in Sicherheit brachte, ihn barg in der Wärme ihres Atems und ihrer Brust.
Seit einer ganzen Reihe von Monaten war diese entsetzlich erniedrigende Angst nun wieder da. Scheinbar nur zeitweilig und augenblickshaft wie beim Anblick dieses wehrlos am Fleischerhaken hängenden Tierchens überfiel sie ihn nun völlig unerwartet â während einer Vorlesung, im Büro des Rektors, bei einem Konzert oder beim Lesen eines Buches. Alexander hatte die politische Wende kommen sehen, sie sogar in gewissem Grade begrüÃt. Doch er hatte geglaubt, dass die Veränderungen kontrollierbar sein und sein Leben, die Sicherheit und Ruhe seiner alten Tage nicht unmittelbar gefährden würden. In den letzten Jahren bis zur Wende war es bei ihm nämlich richtig gut gelaufen!
Erst ging sein Vetter Assen Weltschev in Pension, dann verschwand auch dieser zynische Satyr Pejtschev, der seine spitze Zunge bis zum Schluss nicht im Zaum halten konnte, vom Lehrstuhl, der Mann, der sich ohne die üblichen Umstände und Versprechungen, Komplimente und Lügen an seine Frau herangemacht hatte und dieser als einziger Mann im Gedächtnis blieb, der ihr im Leben nichts vorgemacht hatte. Genau besehen, hatte Pejtschev ihm einen unschätzbaren Dienst erwiesen, weil er in Ljuba, seiner Frau, den reinsten und unverdorbensten Menschen beschmutzt hatte, den Alexander je kennengelernt hatte, was ihn von dem ständigen moralischen Vorwurf befreite, den bis dahin schon ihre bloÃe Gegenwart für ihn bedeutet hatte. Sie zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit zwingen zu können, ihm haarklein zu gestehen, wie sie mit Pejtschev fremdgegangen war, das war Sühne und Erlösung zugleich für seine Feigheit und seinen Opportunismus. Und als spüre Ljuba sein Bedürfnis, begann sie irgendwann, nicht einfach mehr nur nachzuerzählen, wie es gewesen war, sondern sich schmutzige oder pikante Details auszudenken; so konnte er sie anschlieÃend behandeln wie eine Käufliche. Aus der unerträglich Anständigen und Unbeständigen war durch diesen kraushaarigen, adlernasigen Satyr eine verlorene, eine auf ewig schuldige Frau geworden, wie es so oft das Los sittlich höherstehender Menschen ist. Ja, Alexander wurde sich mit den Jahren immer klarer darüber, dass Pejtschev ihn vor seiner eigenen Unzulänglichkeit, moralischen Schwäche und der dadurch bedingten Selbstverachtung gerettet hatte.
Neben dieser nicht ganz schmerzfreien, aber glücklichen Lösung seines Problems mit Ljuba war Alexander durch die Altersnachfolgeregelung auch Chef des Lehrstuhls für Römisches Recht geworden. Er durchlebte den Moment seines endlichen Triumphes zurückhaltend, bestrebt, den Strahlenkranz seines Erfolges und seiner Macht beherrscht, gemäÃigt und vor allem nützlich für alle erscheinen zu lassen. Eine der Assistentinnen am Lehrstuhl war eine ganz Hübsche mit schön getönter Haut, käuflichem
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