Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
Schlüpfer zum Vorschein kamen, die etwas Mageres, seltsam Anziehendes verpackten. »Mama hat mir gezeigt, wie küssen geht«, sagte Dida. »Komm, ich verrat’s dir.«
    Sie war einen Kopf größer als er. Sie spitzte den Mund, zog ihn zu sich heran, dann fühlte er erst ihre Lippen auf den seinen, dann, wie ihre Zunge geschmeidig, aber fordernd in seinen Mund eindrang. Sie schmeckte noch nach dem gefärbten Zucker des Lutschers, aber auch schon nach etwas Abgründig-Salzigem. Da erstarrte er in einem instinktiven Reflex, denn er fühlte nicht nur, wie sein kleiner Pipimann hart wurde, sondern auch, wie sein Herz auf einmal pulsierend darin schlug. Und dann tat es weh, so schwindelerregend weh, dass der kleine Jordan weinen musste. Er riss sich von Dida los und rannte fort, nach Hause, wo er sich im Badezimmer mit kaltem Wasser übergoss.
    Nach diesem Vorfall wechselte er kein Wort mehr mit Dida. Wenn sie sich zufällig auf der Straße begegneten, kicherte Dida hochnäsig und so, dass alle Bescheid wussten.
    Sie war schon fünfzehn oder sechzehn Jahre alt und längst auf dem Gymnasium, als ihre Schwester geboren wurde, ein durchdringend schreiendes Baby, von dem Jordan sich nur an den Kinderwagen erinnern konnte, ein schönes, mit bonbonrosa Knautschlack bezogenes Ding, das ebenso wie der Opel aus irgendeinem westlichen Land kam. –
    Â»Im Jahre fünfundsiebzig sind wir in ein anderes Stadtviertel umgezogen, nach Mladost«, lachte das inzwischen große und aufreizend aufgetakelte Kind aus dem rosa Kinderwagen.
    Â»Na, dann grüßen Sie Ihre Schwester mal schön«, erwiderte Jordan höflich reserviert.
    Â»Die ist so was von verliebt in Sie, die vergöttert Sie richtig und verpasst nicht eine Sendung von Ihnen, schon von damals, vom Runden Tisch an. Ihr Mann, das können Sie sich einfach nicht vorstellen«, sagte sie und machte eine lange Pause, um ihm anzudeuten, wie sehr, total, vollkommen und absolut ganz und gar nicht er sich das vorstellen konnte, »ihr Mann ist eifersüchtig auf Sie und verbietet ihr, Sie zu sehen, wenn sie in Unterwäsche ist.«
    Jordan sah sich die wortsprudelnde Frau nun ein wenig genauer an. Sie war vermutlich so um die fünfunddreißig, wirkte aber jünger. Sie schielte leicht; vielleicht deshalb hatte ihr Blick etwas Dümmliches, Zerstreut-Sorgloses. Dabei aber war dieses Wesen schön, gefährlich schön, was einem erst bei längerem Hinschauen auffiel. Sie hatte naturrotes, leicht gewelltes Haar, ihr Lächeln war herb, ihre Augen, tintenblau und trügerisch, konnten je nach Lichteinfall aber auch grau, unschuldig und zutraulich aussehen. Dies war in der Tat eine seltene, changierende und wohl deshalb so fesselnde Schönheit.
    Mit Erleichterung sah Jordan Sima die Cafeteria betreten. Er winkte ihr und stand auf.
    Â»War mir ein Vergnügen, verehrte Frau«, sagte Jordan kühl, »aber jetzt habe ich einfach zu tun.«
    Â»Nicht Frau, Fräulein «, sagte sie enttäuscht. »Ich heiße übrigens Dida, Dida Dionissieva.«
2
    Als er beim Verlassen des Senders an der Pforte nach den aktuellen Tageszeitungen griff, der der Sozialisten, der der Union der demokratischen Kräfte und der der Unabhängigen-Überparteilichen mit ihrer Sprache zwischen Gossip und Gosse, wäre er fast mit einer großen, rothaarigen Frau zusammengeprallt, die nervös rauchend durchs Foyer lief. Immer noch diese frivol-freche … wie hieß sie doch gleich? Jordan vermeinte, in ihrem Haar Funken sprühen zu sehen. Die Bluse war jetzt noch ein Knöpflein tiefer geöffnet, damit man das Silberkreuzchen an der langen Kette auch in voller Pracht bewundern konnte. Und um keine Zweifel daran zu lassen, dass es geschmacklos gewesen wäre, unter dem Kettchen mit dem Kreuz einen Büstenhalter zu tragen.
    Â»Huch«, sagte sie mit der Stimme der total Überraschten.
    Â»Pardon.« Er versuchte, an ihr vorbeizugehen.
    Â»Was für ein Zufall.«
    Ihr ganzes überkandideltes Auftreten verriet, dass sie entwaffnend einfältig war. »Genosse … oh, ’tschuldigung, Herr Weltschev, haben Sie Lust, einen Kaffee zu trinken mit einem Mädchen, das sie heute übel ha’m abblitzen lassen?« Sie sog an ihrem Glimmstengel und blies den Rauch in Richtung des gelangweilten Wachpolizisten.
    Â»Abblitzen lassen?«
    Â»Ja, abblitzen, wie eine räudige Katze. Ich hab

Weitere Kostenlose Bücher