Seelenasche
fuhr sich durchs schüttere Haar. Dann fuhr er mit falschem Wohlwollen fort:
»Ich weià bald nicht mehr, wo ich die hintun soll, hier stapeln sich immer mehr solcher ⦠Ich kann sie eigentlich nur einstampfen lassen.«
»Kann ich mir zehn Stück davon mitnehmen«, fragte Assen, um dieses sinnlose Gespräch abzukürzen.
»Sie können so viele Exemplare kaufen, wie Sie wollen«, antwortete Slatanov, »mit vierzig Prozent, doppeltem Handelsrabatt.«
Er blies über seinen Kamm, wischte mit Daumen und Zeigefinger darüber und verstaute ihn wieder in seiner Sakkotasche.
15
An einem heiÃen Augusttag klingelte das Telefon seltsam dringlich. DrauÃen verglühte die Sonne, die Luft war erstickend. Die Schatten hatten schon Tiefe und Kraft gewonnen, es roch nach gemähter Wiese, nach Minze, nach gewaltsam beendeter Blüte. Es ging auf drei Uhr zu, Assen war noch schlaftrunken von seiner Mittagsruhe, in der er von Jonka geträumt hatte. Sie hatte ihn angelächelt, ihre Lippen hatten sich bewegt; sie wollte ihm wohl etwas anvertrauen, das ihn für immer beruhigen und ihm Trost spenden sollte durch eine letzte, unhintergehbare Wahrheit; aber er hatte sie nicht verstanden. Er war aufgeschreckt, versuchte aber, die Lider geschlossen zu halten, damit Jonka nicht verschwand und er ihre Botschaft deuten konnte; aber schlieÃlich sagte er sich, dass Jonka ihm einfach erschienen war, um ihn zu sich zu rufen.
Das Telefon neben seinem Bett hörte nicht auf zu klingeln. War das nun dreist oder flehentlich? Er streckte die Hand aus und griff nach dem Hörer.
»Bitte verzeihen Sie die Störung, aber sind Sie â¦Â«
»Ja, ich denke, noch bin ich, noch bin ich es«, erwiderte er unwirsch. »Wen suchen Sie denn?«
»Entschuldigen Sie â Genosse Weltschev?« Die Stimme war voller Unbehagen, kam ihm aber entfernt bekannt vor. »Sonja Toromanova erlaubt sich, Sie zu behelligen.«
»Sie?! O Gott!« Vor Verblüffung setzte er sich abrupt im Bett auf. Er hatte das Gefühl, sie habe ihn nackt überrascht. »Freut mich sehr!« Dann fuhr er, mit jener Leichtfertigkeit, mit der alte Leute oft ihr Intimstes preisgeben, fort: »Ich hab gerade von meiner Tante geträumt, Sie kennen sie ⦠Jonka!«
»O ja, was für eine ungewöhnliche, wunderbare Frau. Hoffentlich habe ich Sie nicht geweckt, Herr Weltschev?« Sie schwieg betreten. Assen dachte: Wie sogar das Schweigen, die lebendige Stille zwischen uns mich aufwühlt! Immer noch! »Ich weiÃ, es ist unangebracht, nach so vielen Jahren.«
»Ich werde nie Ihr Haus vergessen, Frau Toromanova, Ihre Güte und Hilfsbereitschaft ⦠und dass Sie mir vor siebenundvierzig Jahren das Leben gerettet haben.«
»Sie übertreiben â¦Â« In der Sprechpause hörte er, wie sie tief Luft holte. »Mein Ehemann, Ihr Vetter â¦Â«
»Ja, Goscho. Wie geht es ihm?«
»Er ist krank und würde Sie gern sehen. Deshalb habe ich mir diese Unhöflichkeit erlaubt, Sie zu ungebotener Zeit zu behelligen.«
»Natürlich komme ich zu Ihnen. Wann passt es Ihnen denn?«
»Zögern wir es lieber nicht allzu sehr hinaus, Herr Weltschev, sagen wir, morgen Nachmittag um fünf.«
16
War das nicht ein bisschen sehr lächerlich, sich so zurechtzumachen? Ein eitler Alter, der eine Verabredung mit seiner viel jüngeren Geliebten hat. Er hatte seinen Leinenanzug aus dem Schrank geholt, sich Old Spice aufgelegt und hielt in der einen Hand einen Strauà weiÃe Callas und in der anderen eine Plastiktüte mit einer Flasche Metaxa, Georgi Pantovs Lieblingsgetränk. Sein Lächeln sollte GroÃmut und Optimismus ausdrücken.
An dieser Tür hatte er schon geklingelt, als der Sozialismus noch Staatsfeind Nummer eins war und er sich als Attentäter und Untergrundkämpfer unter dem Deckmäntelchen des Bestattungsagenten hier vor der Polizei versteckt hatte. In den aristokratisch eingerichteten Räumen hinter dieser Tür hatte er nicht nur Unterschlupf und Schutz gefunden, sondern auch Trost. Er erinnerte sich gut an diesen trüben Tag, als er General Lultschev erschossen hatte und in der übereilten Flucht vor den Schergen der Polizei Zuflucht gesucht hatte in gespielter Gleichgültigkeit und der Beflissenheit des Bestatters. SchlieÃlich hatte er als einzigen Grund für sein aufdringliches Kommen ohne Einladung dieses Tütchen
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