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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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naturwissenschaftlichen Experimenten, die in der perversen Kreuzung einer Taube und eines Raben gipfelten. Sie lachten. Dann verlangte Georgi nach dem Nachttopf. Das war das vermutlich letzte verbliebene originale Stück Hausrat, das Georgi zu verscherbeln nicht gelungen war. Er war aus Keramik und hatte die Farbe von Elfenbein; sogar das Monogramm der Wiener Herstellerfirma war noch zu erkennen. Sonja reichte ihn ihm mit einer Sanftheit, als wäre es ein Liebesbrief.
    Draußen dunkelte es, als wäre schon Herbst, und Sonja machte Licht. Sie holte Salzgebäck aus dem Ofen, das warm war und duftig. Bei der Gelegenheit erinnerte sich Goscho auch daran, wie er mal versucht hatte, Assen zu hypnotisieren, indem er ihm zwei Magnete auf die Schläfen gelegt und monoton immer dieselben Worte wiederholt hatte, bis er plötzlich im Befehlston fragte, was Zwetana, das Hausmädchen, im Nebenzimmer mache. Der arme und ewig ausgehungerte Assen hatte versucht, es zu erraten, denn er wusste, wenn er es richtig sagte, würde er zum Mittagessen bleiben dürfen. Wieder lachten sie. Georgis Lachen war aber unsicher und so schwach, dass er mit seinem Atem kaum eine Kerzenflamme zum Flackern gebracht hätte. Bald darauf verlangte er wieder nach dem Topf und versackte in der mühseligen und unschönen Anstrengung, mit Sonjas Unterstützung sein kleines Geschäft zu verrichten.
    Â»Damals stand ich unter dem Einfluss Mesmers«, fuhr er leise fort und schaute Assen mit dem wissenden Blick des Tieres an, das zur Schlachtbank geführt wird. »Immer allein, so allein … Mir ist so schön in deiner Gesellschaft, aber nun bin ich müde und kann nicht mehr … bin einfach müde.«
    Vermutlich war er wirklich nur müde und wollte mit seinen Worten gar nichts anderes andeuten, aber sie klangen so … Sonja nahm ihm zwei Kopfkissen weg und bettete ihn tiefer, damit er bequem lag. Sein Körper verlor sich geradezu unter der Bettdecke, seine Augen hefteten sich wie Saugnäpfe an die Decke, als wäre dort das Tor zur Erlösung.
    Â»Du hast dich immer gut zu mir verhalten«, sagte er schließlich, »hast mir geholfen, ich kann dir keinen Vorwurf machen. Aber ich habe dich nicht nur sehen wollen, um dir dafür zu danken …« Seine Stimme wurde leise, verschwörerisch. »Die Kommunisten haben mir ordentlich in die Karten gepfuscht, mein Leben zerstört – und nicht nur mir …« Er machte eine Pause, um Kraft zu sammeln. »Aber ich hasse niemanden. Ich wollte, dass du das weißt, nein, das musst du einfach wissen: Ich hasse niemanden!«
    Danach »ging« er gleichsam, verließ sie, das Zimmer mit seinem Geruch nach abgestandener Luft und Schmerz, zog kraftlos die Bettdecke hoch zum Kinn und sagte klar, aber ohne erkennbaren Zusammenhang:
    Â»Gott im Himmel, warum hab ich bloß gelebt, wozu war das alles nur gut?«
18
    Die Woche nach Assens Besuch verging in eintöniger Wiederholung alltäglicher Verrichtungen. Sonja machte Frühstück und fütterte ihn, schob ihm morgens Kissen unter (die sie für den Mittagsschlaf und die Nacht wieder wegnahm), kochte ihm fleischloses Mittagessen (wenigstens war im Herbst das Gemüse billig), und zwischendurch machte sie mit ihrer Le-Clézio-Übersetzung weiter, auch wenn die nach kurzem Zusammenbruch des Buchmarktes wie Pilze aus dem Boden schießenden Verlagsneugründungen für Übersetzungen kaum etwas bezahlten. Danach ging sie fürs Abendessen einkaufen, meist Joghurt oder Bosa – Weizentrunk. Letzterer grenzte zwar eindeutig an Luxus, aber es war das einzige süße Vergnügen, das sie sich für ihren Mann überhaupt noch gelegentlich leisten konnte. Auf Anraten der Ärzte verabreichte sie Georgi dreimal am Tag schmerzstillende Mittel, die ihn in einem permanenten Zustand zwischen Traum und Wachen, Erinnerungen und Gegenwart hielten, einer »Duselblödigkeit«, wie er das nannte.
    Ende der Woche meldete sich Assen Weltschev telefonisch bei ihr. Seine Stimme war erstickt und voll innerer Bewegung und Unsicherheit.
    Â»Wenn Sie etwas brauchen, Frau Toromanova, dann … ich … wie soll ich sagen? Sie können auf mich zählen, wollte ich sagen.«
    Â»Ich bitte Sie, zerbrechen Sie sich nicht den Kopf«, erwiderte sie erschauernd.
    Â»Und danke nochmals, dass Sie sich bei mir gemeldet und mir die Möglichkeit gegeben … mich eingeladen haben

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