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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Petuniensamen aus der Tasche gezogen, die eingesät werden sollten als Einfassung der Grabstätte des alten Toromanov, des besten bulgarischen Konditors seiner Zeit und Inhabers der erlesenen Café-Gaststätte Bulgaria gegenüber der Russischen Kirche. Damals hatte Sonja zuerst fragend auf das Papiertütchen mit der Aufschrift des Blumennamens auf Lateinisch geschaut, verblüfft, ungläubig und in die Enge getrieben von seiner aus Panik geborenen Unverschämtheit; dann hatte sie verstanden und einfach lächelnd gesagt: »Danke, dass Sie gekommen sind, Herr Weltschev!«
    Er erinnerte sich auch noch gut, wie langsam in ihm jenes diffuse, ja, sündige Verlangen wuchs, in Sonjas Nähe zu sein, ihre Stimme zu hören, oder auch nur ihr verstörtes Schweigen, so wie gestern am Telefon; erinnerte sich auch an das unerfüllbare Verlangen, sie zu berühren, sich ihr grenzenloses Angezogensein einzugestehen, eine Versuchung, die gleichsam direkt aus dem Fehlen jeglicher Lasterhaftigkeit entsprang. In seinem Gedächtnis lebte auch jener eine einzige Abend am Kamin wieder auf, der sich nicht wiederholen sollte, als sie, gleichermaßen erschrocken von der Intimität ihrer Nähe, gleichzeitig aufstanden, sich für die Länge eines Wimpernschlags berührten, mehr Beginn eines unendlichen Abschieds, und wie Sonja in einem Moment der Schwäche ihr Haupt an seine Schulter gelegt hatte, nicht einfach nur in liebendem Vertrauen, sondern weil es das war, was zwischen ihnen war .
    Assen erinnerte sich auch an das letzte Mal, an dem er vor dieser Tür gestanden hatte, die damals schon die Spuren langjähriger Vernachlässigung und Abnutzung trug, eingehüllt in den Geruch von Treppenstufen, die viele menschliche Gefühle in sich aufgesogen hatten. Er war damals wie versteinert von seiner eigenen Dreistigkeit gewesen, entzweit zwischen der Angst, Sonja könnte ihm tatsächlich öffnen, und der Angst, sie könnte ihm nicht öffnen. Dieses Unerfüllte, das als Narbe für immer blieb, jene vergeudete Erfüllung dessen , was zwischen ihnen war , hätte ihn mit dem Schein der Liebe erleuchtet und geschmückt. Ja, Sonja war die einzige, die verlorene Frau gewesen, die er geliebt hatte; nun, in diesem ehrwürdigen Alter, konnte er es sich endlich eingestehen. Sie hatte sich ihm entzogen wie seine beiden Bücher, und sie war in seinem Leben zu früh gekommen und zu spät wie sie.
    Der Schmerz stahl sich so süß und scheu in sein Herz, dass er beinahe seinen Strauß fortgeworfen und fluchtartig wieder nach Simeonowo zurückgefahren wäre, zurück in seine Einsamkeit, um dort in der Gesellschaft dieses neuerdings aufgekommenen Gefühls, dem Schicksal ausgeliefert zu sein, die Flasche Metaxa zu leeren. Vor Jahren hatte sie ihn nicht hineingelassen, um ihn zu schonen; nun war er es, der hätte gehen müssen, um sie so wundervoll und ungealtert in seinem Gedächtnis zu bewahren wie bei ihrer letzten Begegnung. Das wäre die beste Lösung für alle gewesen. Erneut kam unbändige Angst in ihm hoch. Er schwankte – aber nein, er hatte versprochen zu kommen! Da beide Hände besetzt waren, beugte er sich vor und drückte mit der Stirn auf den Klingelknopf. Von drinnen war fast augenblicklich das Klacken ihrer Absätze zu hören. Diesmal war sie vorbereitet, diesmal erwartete sie ihn. Die Tür ging auf. Ein gleißendes Licht aus dem Korridor blendete ihn, daher nahm er Sonja zunächst nur als Silhouette, als Umriss wahr, dann spürte er ihr Lächeln. Gottlob, vor ihm stand keine verhutzelte Oma, sondern eine schlanke, feine Frau vorgerückten Alters. Ihr Haar war vornehm bleich geworden und umgab sie mit der Aura königlicher Würde. Ihre Augen hatten sich nicht verändert. Es waren immer noch diese dunklen, bergenden Augen, in denen die ununterbrochene Anstrengung, das Leid des frei gewählten Selbstopfers flackerte.
    Â»Sie sehen großartig aus, Frau Toromanova.«
    Â»Danke, Herr Weltschev, Sie nicht minder. Und Sie haben auch nicht vergessen, dass ich weiße Callas liebe, und Goscho ein Fläschchen Metaxa.«
17
    Als er das Wohnzimmer betrat, bekam er einen Schlag. Wo war die aristokratische Pracht geblieben, die er als junger Revolutionär zwar ideell verachtet, in der er sich reell aber so schön von seiner Angst erholt hatte? Durch ausgebleichte Gardinen sickerte müde der Tag. Keine

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