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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Silberleuchter mehr, auf die sein Licht ein Schimmern hätte zaubern können, keine gravitätischen Kaminuhren mehr, die ihm stoisch tickend Eile mit Weile empfahlen. Die Wände sahen ohne Gemälde nicht einfach nur leer aus, sondern schmuddelig und abgenutzt. Die überladenen Empire-Möbel mit ihrer gedrechselten und gepolsterten Pracht, wo waren sie? Die Perserteppiche? Die Kristallleuchter? Der schwarze Flügel? Die Spiegel? Diese ganze pompöse, aber auch gemütliche Großbürgerlichkeit … Hohl, verlassen, schien dieser Raum niemandem mehr Wohnung zu sein. Sonja bemerkte sein Befremden, errötete, als habe er sie bei etwas Unziemlichem ertappt, zupfte den Schal auf ihren Schultern zurecht und sagte – weder vorwurfsvoll noch entschuldigend:
    Â»Irgendwie mussten wir halt durchkommen, Genosse Weltschev.«
    Sie trug dasselbe schlichte schwarze Kleid, mit dem sie vor vielen Jahren seiner Frau Emilia ausgeholfen hatte, damit die auf ihrer ersten Filmpremiere ihrer Eitelkeit Genüge tun konnte. Ihr Haar hatte sie streng in einem Dutt zusammengefasst, ihre Lippen waren dezent mit Lippenstift hervorgehoben. Ruhig und ohne zu dramatisieren erzählte sie ihm, dass Georgi, ihr Mann, sich einen so komplizierten Beinbruch zugezogen hätte, dass er wohl nie mehr werde laufen können und zur Bettlägrigkeit verurteilt sei.
    Â»Ich habe sehr darum gekämpft, dass er operiert wird, aber die Ärzte sagten, es habe keinen Zweck. Sie erklärten mir, er habe sich das Bein nicht gebrochen, weil er ausgerutscht und hingefallen sei, sondern weil sein Hüftgelenk ihn nicht mehr getragen habe. Osteoporose. Gefallen sei er infolge des Bruchs. Als ich ihn fand, lag er da und kam um vor Schmerzen.« Sie zeigte in eine Ecke. Dort waren Bücher direkt auf dem Boden in unterschiedlich hohen Stapeln aufgetürmt. »Man hat mir einen Reha-Therapeuten empfohlen, aber das kostet jetzt alles Geld, und wir leben nur von meiner Rente. Und Sie wissen ja, Herr Weltschev, wie die Renten jetzt aussehen.«
    Â»Warum haben Sie sich nicht früher bei mir gemeldet?«
    Â»Warum hätte ich mich melden sollen?« Sie besann sich und nahm endlich den Strauß entgegen, den Assen ihr die ganze Zeit hingehalten hatte. »Er wartet auf Sie, Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr.«
    Sie geleitete ihn ins Schlafzimmer. Sein Vetter war eingedöst. In dem riesigen, zerwühlten Bett sah er, der bis zur Unkenntlichkeit abgemagert war, winzig aus wie eine Handpuppe. Seine Wangen waren eingefallen, sein einst schönes Gesicht welk geworden, der Schädel trat kantig hervor und glich dem einer Mumie. Das Bettzeug war gerade gewechselt worden und strahlte vor Weiße, doch in der Luft lag trotzdem der feine Geruch der Vergänglichkeit. Georgi verschluckte sich, hustete. Langsam fand sein Blick die beiden Eintretenden und füllte sich mit Erkennen.
    Â»Noch mal davongekommen«, begrüßte er Sonja und Assen.
    Â»Ich hätte jederzeit kommen können«, antwortete Assen mit Unbehagen.
    Â»Sonja hat mir erzählt, du wärst die letzten Monate im Ausland gewesen.«
    Nun wurde Assen vollends verlegen. Er schaute Sonja fragend an, die warf ihm einen bittenden Blick zu, dann nickte er bestätigend mit dem Kopf.
    Â»Herr Weltschev hat dir einen Metaxa mitgebracht«, sagte sie, »und mir – schau mal, was für wunderschöne Callas.«
    Â»Wenn ich etwas gern trinke, dann Metaxa. Dieser Duft nach südlicher Sommernacht und Trockenbeerenauslese, nach süßer Jugend eben, wie?«, versuchte er zu scherzen.
    Im Schlafzimmer standen zwei wacklige Küchenstühle. Sie rückten sie ans Bett und setzten sich darauf. Georgi holte seine Hand unter der Bettdecke hervor. Sie war trocken wie Pergament. Seine Finger zitterten. Seine Augen waren so ausgehöhlt, dass die Augäpfel stark vergrößert wirkten. Seine Ohren hatten die Durchsichtigkeit feinen Porzellans angenommen. Sonja brachte mangels einer Vase eine Kanne mit Wasser für die Blumen und ein Tablett mit drei Gläsern für den Metaxa. Sie stießen an. Georgi fing an, von Widin zu reden, von der Donau, den Gerüchen nach Sumpf und nach gebratenem Karpfen, dem mit echten Wiener Möbeln vollgestellten Haus, in dem er groß geworden war, von den Briefmarkenalben seines Vaters Panto Weltschev, der Sammelenzyklopädie von Larousse, aus der seine Mutter ihre Bildung bezog, und seinen

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